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Fleckenteufel (German Edition)

Fleckenteufel (German Edition)

Titel: Fleckenteufel (German Edition)
Autoren: Heinz Strunk
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meine übermenschliche Leistung erinnert, spontan, kurz vorm Einschlafen :«Bei den Bundesjugendspielen hat Thorsten doch so weit … chchrrrr.» Heute bin ich der Einzige, der die Erinnerung an meinen Meisterwurf hütet wie einen kostbaren Schatz. Und wenn ich tot bin, geht dieses Wissen endgültig verloren. Daran muss ich wirklich oft denken, ein höchst hartnäckiges Bild.
    Dauernd versuche ich mir einzelne Sätze zu merken, für die Ewigkeit. Wie den, den vor ein paar Tagen Diakon Steiß vor der italienischen Eisdiele gesagt hat: «So, wer ein Eis essen will, der soll das tun, ansonsten könnt ihr machen, was ihr wollt.» Diesen Satz werde ich bewahren, gerade weil ihm keinerlei Bedeutung zukommt und er weder witzig noch klug oder sonst was ist.

    Leises Gemurmel nähert sich. Ich verstecke mich hinter einer Düne. Wer ist das, wem gehören die Stimmen? Leider kann ich nichts sehen.
    «Lies doch mal vor.»
    Wolfram Steiß!
    «Meine Liebe ist wie Tau, der sich morgens auf deine Augen legt, der von deinen Lippen abperlt. Meine Liebe ist wie ein Sandkorn, das den weiten Weg zu dir geweht ist, sich vom Wind tragen lässt und darauf vertraut, sich in deinen Haaren zu verfangen.»
    Die Stimme gehört Rebekka, mit der ich insgesamt keine zehn Sätze gesprochen habe. Sie gehört zu denen, die irgendwie dabei sind, kaum sind sie weg, hat man sie schon wieder vergessen. Rebekka ist total langweilig und hat jetzt schon Hängetitten.
    «Meine Liebe ist unendlich, sie wird nie versiegen, es ist Verlass auf sie, sie soll dich trösten, soll dich auffangen. Meine Liebe ist ruhig, sie braucht keine Aufregung, denn sie ist aufregend und zärtlich zugleich. Sie ist das Bett, in das du dich legen kannst, die Decke, die dich wärmt, im Sommer leicht, im Winter schwere Daunen, meine Liebe ist … usw.»
    Ende. Schweigen.
    Sagenhaft, was für ein Schrott.
    Andächtige Stille. Hat er’s doch noch geschafft, der Sausack.
    Nach einer weiteren Schweigeminute murmelt Steiß:
    «Das gefällt mir gut. Das gefällt mir sogar sehr gut.»
    O nein, o nein, o nein. Rebekka, die dumme Nuss, merkt nicht, dass sie nach Strich und Faden verarscht wird. Wie auch, das «Gedicht» stammt schließlich von ihr.
    «Soll ich noch eins vorlesen?»
    «Ja, gern.»
    Ich habe das Gefühl, als würde er ihr gerade übers Haar streichen oder ihr einen Arm um die Schultern legen, so was.
    «Gott und ich. Wer ist Gott? Wer bin ich? Bin ich durch Gott? Ist Gott durch mich? Bist du Vater? Bist du mein Vater? Wo finde ich dich, mein Gott?»
    Und so weiter.
    Noch dämlicher als das erste, obwohl das ja eigentlich nicht geht. Dies ist also die Steiß-Masche!
    «Weißt du, das gefällt mir sehr gut. Wie lange schreibst du schon?»
    «Schon immer. Seit ich ein kleines Mädchen war.»
    «Weißt du, du solltest weitermachen.»
    Jeden verdammten Satz beginnt er mit «weißt du». Ekelhaft. Er spricht selbstherrlich leise und monoton, um seiner Bumsstimme eine beschwörende Note zu verleihen. Beschwörend und geil. Scheint zu klappen, ich kann körperlich spüren, wie sie sich näherkommen. Seine gierigen Hände schieben den Norwegerpulli nach oben, er vergräbt seinen filzigen Vollbart zwischen ihren duftenden Hängeglocken und knetet ihr die schlaffen Oberschenkel. Rebekka bebt von Kopf bis Fuß vor Verlangen, weil die Wahl sonst nie auf sie fällt. Sie wird ihm alles geben, fast. Alles würde er nur von Karin bekommen.
    Wahrscheinlich haben Edam und Steiß sich abgesprochen, Edam deckt Steißens Schweinigeleien, und Steiß deckt Edams Alkoholsucht. Egal, sollen sie doch. Ich schleiche mich davon.
    Im Zelt ist es totenstill. Riechen tut man auch nichts. Schade eigentlich. Na ja, na ja. Ich nehme mir vor, mich morgen zu entschuldigen.
    Ich lege mich hin und bin so traurig wie nie zuvor in meinem Leben. Alle dürfen sie selbst sein, nur ich nicht. So geht das nicht weiter, in einem halben Jahr werde ich siebzehn. Und irgendwann achtzehn und zwanzig und fünfundzwanzig und dreißig. Dreißig, unvorstellbar. Wenn ich nun für immer klein bliebe? Man kann als Zwerg hundert Jahre alt werden ohne Geschlechtsverkehr, aber ein Riese ist nach zwei Wochen ohne Scheißen tot. Ja, das ist die Wahrheit. Ach ach ach.

Elvis
    Elvis Presley ist tot.
    Bereits gestern ist er gestorben, daheim in Graceland. Es hat einen ganzen Tag gebraucht, bis sich das bis nach Scharbeutz rumgesprochen hat, Pastor Schmidts Stimme zittert, als er uns die Nachricht gleich zu Beginn der Andacht nach Ein
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