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Fleckenteufel (German Edition)

Fleckenteufel (German Edition)

Titel: Fleckenteufel (German Edition)
Autoren: Heinz Strunk
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Tiedemann behaupten immer, dass alles Komplott und Verschwörung und Mord sei.
    Die Erwachsenen haben das Radio angestellt, um einer Sondersendung zum Tod von Elvis zu lauschen. Blablabla. Erdnussbauer Jimmy Carter meint, der Tod von Elvis habe das Land eines wichtigen Teils seiner selbst beraubt. Da hat er recht. Weniger recht hat er mit seiner Behauptung, Elvis habe wie kein anderer die Vitalität, das Rebellentum und den guten Humor der vereinigten Staaten verkörpert. Humor? Hä? Wo haben die Kackamerikaner denn Humor? Das letzte Witzige aus Amerika waren Dick und Doof, und das ist ja echt wohl grad mal lange her.

    Es beginnt zu regnen. Roland, Tiedemann, Heiko und ich sitzen in Heikos Zelt und spielen Doppelkopf. Und das am helllichten Tag, am letzten Tag.

    Die Henkersmahlzeit besteht aus brackigem Hühnerfrikassee mit Klumpreis, Nachtisch Schokopudding mit Hautschichten. Pampiges Essen, verdickte Stille, niemand sagt was. Detlef ist so weit hergestellt, dass er wieder regulär an den Mahlzeiten teilnehmen kann. Ganz schmal und durchsichtig sieht er aus, und noch krüppeliger als sonst. In einem Affenzahn schaufelt er seine Portion weg, ohne nachzusalzen, dabei hat er gar nichts zu befürchten. DEN SALZIGEN gibt’s nicht mehr, der Gag ist durch, jetzt sowieso. Um was zu sagen, behauptet Andreas, Elvis habe vorgehabt, zukünftig Hardrock zu machen. Ach, halt doch dein Maul.
    Von den Erwachsenen ist bestimmt die Hälfte auf den Zimmern geblieben, selbst der Pastor fehlt. Mittagessen ohne Pastor Schmidt, wo gibt’s denn so was? Verstehe ich nicht, der Pastor muss doch schon von Amts wegen zu den Mahlzeiten erscheinen, gerade in schweren Stunden.
    Schrader hat sich den Teller bis oben hin aufgefüllt, rührt das Essen aber nicht an. Er hockt da wie ein Ölgötze, macht Wichsbewegungen an seinem Messer und stiert mit kleinen Augen aufs Meer. An seinem Dreifachkinn glänzt eine Rinne eingetrockneten Fetts. Woher kommt die denn nun schon wieder. Immer nur bekleckert, beschmutzt, verschmiert, klebrig. Die Unlust weiterzuleben reicht zum Sterbenwollen nicht aus.
    Pladder pladder. Es schüttet mittlerweile wie aus Eimern. Der grauschwarze Himmel hängt tief über der Ostsee, eine bedrohliche, dichte Masse, wahrscheinlich hört es überhaupt nie mehr auf zu regnen. Na ja, alles besser als Sonne. Ich fühl mich bei Regen sowieso wohler, am schlimmsten ist es im Frühjahr, wenn alles blüht und keimt und ich das Gefühl habe, mit dem Zyklus der Jahreszeiten nicht mithalten zu können. Echt schlimm ist das. Notes of a Dirty Old Man.
    Diakon Steiß erhebt sich und klopft mit der Gabel an eine Tasse, als wolle er eine Tischrede halten:
    «Vielleicht hat sich der eine oder andere darüber gewundert, dass Pastor Schmidt nicht da ist. Leider befindet er sich zurzeit im Krankenhaus. Keine Angst, es ist nichts Ernstes, etwas mit dem Magen, aber die Ärzte wollen ihn ein, zwei Tage zur Beobachtung dabehalten. Wir müssen also ohne ihn zurückfahren. Wie gesagt, macht euch keine Sorgen, und das meine ich auch so, das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Allerspätestens Anfang nächster Woche ist er wieder bei uns.»
    Wieder bei uns, wie das klingt. Die Nachricht gibt mir den Rest. Elvis tot, Pastor Schmidt im Krankenhaus, DER SALZIGE bis auf die Knochen verbrannt.
    Es gibt kein Nachmittagsprogramm, wegen Pastor Schmidt und wegen des Sauwetters und Elvis und weil es der letzte Tag ist. Die Jugendlichen verteilen sich auf Zelte und Aufenthaltsraum, die Erwachsenen haben sich mit Ausnahme von Herrn Schrader und den Fiedlers auf ihre Zimmer zurückgezogen oder sind sonst wo. Vielleicht kommen sie ja am Abend runter, um im Fernseher Näheres über die Umstände von Elvis’ Tod zu erfahren.
    Ich bin unfähig, mich abzulenken, und bleibe sitzen. Frau Thieß wischt mit einem feuchten Stinkeschmuddellappen die Tische ab. Die Arme, ich wusste nicht, dass sie neben der Kocherei auch noch Hiwitätigkeiten verrichten muss. Sie macht einen erschöpften Eindruck, die Haare sind wirr und strähnig, ihre Hände runzlig wie Datteln. Ob ihr schon jemand gesagt hat, dass Elvis gestorben ist?
    Frau Thieß wischt gleichmäßig wie ein Scheibenwischer. Gierig saugt sich das Tuch mit verschüttetem Tee, Schokoflecken, Reiskrümeln und Frikasseepfützen voll. Sie wringt es in einem Eimer mit trübem, schmutzgesättigtem Wasser aus, Schweißrinnsale kriechen in Richtung Augenbraue, zum Schluss geht sie noch mit einem Papierhaushaltstuch über die Tische.
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