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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer
Autoren: Joerg Liemann
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abgerissen hat, stimmt’s?«
    Van Tannen nickte leicht, aber nachdrücklich. » 50 Kilometer Straßen hat er in der Innenstadt von Paris wegnehmen lassen. Hunderttausende von Häusern. So ist das Paris entstanden, das heute alle lieben. Er hat damit für Wasserversorgung und Energie gesorgt, für Wohlstand, Wachstum und Ordnung. Dadurch sind prachtvolle 95 neue Straßenkilometer im Stadtkern entstanden, und an der damaligen Peripherie weitere 70 Kilometer. Manchmal muss man durchgreifen. Wenn es gutes Leben geben soll, muss man bereit sein, dafür ein Opfer zu bringen.«
    » Hat er die Innenstadt von Paris nicht auch deshalb abreißen lassen, damit die Arbeiter in den engen Straßen keine Barrikaden mehr errichten konnten und damit die Truppen Sicht- und Schussachsen bekamen?«
    Van Tannen stand auf und lehnte sich auf seine Kanonenkugeln. » Das war zweitrangig. Aber Sicherheit und Architektur haben viel miteinander zu tun, Herr Sternenberg.« Er zog eine schwarze Rolle aus einem Bodenregal und rollte einen Plan aus. » Erkennen Sie das? Das ist ein Plan für das Jahr 1956.«
    Sternenberg hatte eine Karte wie diese schon einmal gesehen. » Germania, oder?«
    Van Tannen zuckte zusammen oder rutschte weg, genau konnte Sternenberg es nicht deuten.
    » Sie haben recht. Die Nazis wollten Berlin in Germania umbenennen. Das war natürlich Blödsinn, wie vieles, was sie gemacht haben. Aber Albert Speer hatte zumindest ähnliche Visionen wie Haussmann.«
    » Ich weiß. Und in der Mitte steht die Halle des Volkes. So hoch, dass in der Kuppel Wolken entstanden wären und dass der Reichstag ins Foyer gepasst hätte. Dazu die Spree als breiter Strom, unterirdisch unter dem Führer durch.«
    » Ich bin kein Nazi-Fan, Herr Sternenberg. Sehen Sie sich das unvoreingenommen an. Hier erkennen Sie wenigstens eine klare Achse in der Stadt.«
    » So was haben wir heute auch. Das Band des Bundes, von Ost nach West, über den Spreebogen. Mit Kanzleramt.«
    Van Tannen lächelte mitleidig. » Band des Bundes, ja, ja. So was baut sich in Dubai jedes mittelmäßige Viersternehotel. Ich rede von der Gestaltung einer ganzen Stadt. Nicht vom Zubetonieren eines Fußballfeldes mit billigem Sichtbeton!«
    Sternenberg schmunzelte, und erneut wirkte sein Gegenüber überhaupt nicht amüsiert.
    » Wissen Sie, dass Albert Speer eine Million Menschen aus ihren Häusern evakuieren wollte, um Germania zu bauen? Die ersten Häuser waren schon geräumt. Die unselige Judensache kam ihm dabei ganz recht. Aber trotzdem, sehen Sie, was eine Vision in der Stadtumgestaltung ist? Warum bekommen wir das heute nicht hin? Wir sind dekadent und unfähig geworden, leben in Käffern wie die Kakerlaken und sind so fett, dass wir unsere Umgebung nicht mehr gestalten.«
    » Vielleicht fehlt uns auch nur der Krieg?«
    Van Tannen rollte die Karte zusammen. Sternenbergs Bemerkung war ihm einen Schritt zu weit gegangen. » Wir sind vom Thema abgekommen«, sagte van Tannen. » Haben wir noch etwas, oder können Sie gehen?«
    » Ich kann gehen, danke. Ich bedaure ehrlich gesagt, dass meine Töchter nicht Architektur studieren. Die hätten bestimmt herrliche Visionen!«

27
    An der Ampel vor dem Kreisverkehr der Siegessäule sprang ein Jugendlicher von der Seite vor Sternenbergs Auto und begann, die Windschutzscheibe mit einem Schwamm zu befeuchten. Sternenberg schüttelte den Kopf. Der Junge nahm davon keine Notiz. Er rubbelte an einigen Stellen stärker herum, ging mit dem Ledertuch über das Glas und nahm schließlich die Gummiseite seines Handscheibenwischers. Sternenberg schüttelte noch mal den Kopf. Die Ampel schaltete auf Grün. Der Junge lächelte ihn an und streckte den Daumen nach oben.
    Manchmal kann man diese Stadt lieben, dachte Sternenberg. Die Frontscheibe war sauber, und entlang der Strecke brach die Sonne zuckend durch das Laub des Tiergartens.
    Die Büros waren leer. Er war gerne hier, wenn die Büros leer waren. Nur ein paar Freunde waren da. Kollegen meine ich, dachte er. Sie hatten inzwischen viel gearbeitet. Er durfte nicht vergessen, sie zu loben. Nicht zu offensichtlich, aber es musste ihm gelingen, ihnen seinen Respekt aufrichtig zu vermitteln, so wie er ihn empfand. Sonst würde er noch oft Gedanken an den Weggang der Besten aushalten müssen. Das Gespräch mit Wolfgang Lichtenberg durfte er nicht verschieben.
    Er hatte Hunger.
    Tarek empfing ihn: » Komm rein, Chef. Hier, wir sind so weit. Isabel, alles klar?«
    » Ja, bitte. Wir haben die Folien
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