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Flammenbucht

Flammenbucht

Titel: Flammenbucht
Autoren: Markolf Hoffmann
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strömten sie herbei. Das Geld der Besucher hatte die Stadt reich werden lassen. Selbst in den ärmeren Stadtvierteln waren die Straßen befestigt, und überall waren Häuser zu sehen, deren Fassaden aufwendige Fresken zierten. Harsas, du Stadt der tausend Gesichter, du Stadt der Glücklichen und Zufriedenen. ..
    Im Osten der Stadt fiel der felsige Boden flach zur Küste ab. Hier hatten die Mönche des Balah-Sej, denen die Verwaltung der Stadt oblag, Stufen in die Felsblöcke schlagen lassen. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht saßen die Menschen auf den Treppen. Es herrschte andächtiges Schweigen, nicht allein, weil die Dämpfe benommen machten, sondern weil dieser Ort heilig war, den Göttern des Meeres und der Lüfte geweiht. Mönche verschiedener Orden wachten über die Schwefelquellen, und täglich wurde den Göttern ein Opfer dargebracht, um die heilende Kraft der Dämpfe zu erhalten.
    In diesen Tagen jedoch war das Schweigen durchsetzt von Angst. Dunkle Kunde hatte Harsas erreicht; Kunde von den Verlusten, die Arphats Heer an der Grenze zum benachbarten Königreich Kathyga erlitten hatte. Denn Arphat befand sich seit kurzer Zeit im Krieg; es warf sich einem Feind entgegen, der bereits die Königreiche Gyr und Candacar zu Fall gebracht hatte. Fremdartige Wesen waren mit ihren Schiffen von unbekannten Ufern aufgebrochen, um die Welt unter ihre Herrschaft zu zwingen. Man nannte sie die Goldei, ›die Rotgeschuppten‹: echsenähnliche Kreaturen, blutrünstig und bar jeder menschlichen Regung. Gerüchte über ihre Grausamkeit machten die Runde; daß sie jene, die sich nicht unterwarfen, mit ihren Klauen zerrissen; daß sie über geheimnisvolle Kräfte verfügten, denen selbst die Zauberer der Logen nichts entgegenzusetzen wußten. Nachdem sich das benachbarte Kathyga ihnen unterworfen hatte, setzten die Goldei nun zum Sturm gegen das Sonnenreich an. Die Angehörigen der Kriegerorden waren gen Westen gezogen, um Arphat gegen die Echsen zu verteidigen, und so weinte in Harsas bereits manche Familie um den gefallenen Sohn, die gefallene Tochter. Königin Inthara aber, die Herrscherin Arphats und Nachfahrin des Sonnengottes Agihor, war in den Süden gereist, um Frieden mit Sithar zu schließen, jenem mächtigen Kaiserreich, das in erbitterter Feindschaft zu Arphat stand. Viele Menschen deuteten es als schlechtes Omen, daß die Königin das Land verlassen hatte. Wer sollte Arphat vor dem Zorn der Götter bewahren, wenn sie, die göttliches Blut in sich trug, fern der Heimat war? Intharas Entschluß, Frieden mit den Sitharern zu schließen, hatte viele verunsichert; zu tief saß der Haß auf die Südländer, die sich vor dreihundertfünfzig Jahren vom Sonnenreich losgesagt hatten. Doch wagte niemand offenen Widerspruch. Die Königin handelte stets im Einklang mit dem göttlichen Willen; wer dies anzweifelte, mußte mit einer harten Bestrafung rechnen. Auf einer der Treppenstufen kauerte eine alte Frau, gehüllt in ein fleckiges Tuch. Die Zeit hatte tiefe Falten in ihr Gesicht gezeichnet, und ihre Augen waren im Lauf der Jahre blind geworden. Als junges Mädchen hatte sie auf den Treppen Gebäck an die Menschen verkauft, doch nun war sie zu alt für diese Tätigkeit. Statt dessen hockte sie tagein, tagaus auf den Stufen und unterhielt die Anwesenden mit ihren Geschichten. Viel hatte sie zu erzählen, Legenden aus alter Zeit; Geschichten von der Entstehung Arphats, als der große König Apetha die verfeindeten Städte geeint und die Welt mit seinen Heeren in Angst und Schrecken versetzt hatte; Geschichten von den launischen Geistern des Wassers, die einst das Nordmeer beherrscht hatten und von jenem Zauberer besänftigt worden waren, den man hierzulande Durtha Slargo nannte und der in anderen Ländern den Namen Durta Slargin trug.
    Auch heute war die alte Geschichtenerzählerin wieder umringt von zahlreichen Menschen: Männer, deren olivfarbene Gesichter im Licht der untergehenden Sonne schimmerten; Frauen, auf deren Schößen Kinder saßen und mit ihren dunklen Zöpfen spielten; Mönche in wallenden Gewändern, die sich nach ihrem Abendgebet auf den Treppen niedergelassen hatten; Reisende aus fernen Ländern, hier die schrägstehenden Augen eines Candacarers, dort das rote Haar eines Troubliniers oder der weißblonde Schopf einer Gyranerin. Alle Augen hingen an den Lippen der alten Frau.
    »Erzähl uns von den Goldei«, bat einer von ihnen. »Erzähl uns, woher sie kommen und warum sie über Gharax
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