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Flammenbucht

Flammenbucht

Titel: Flammenbucht
Autoren: Markolf Hoffmann
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nur bei großen Volks-unruhen aus, denn sie galten als Wächter der öffentlichen Ordnung. Zahlreiche Aufstände hatten sie niedergeschlagen, und manch aufmüpfiger Orden war von ihnen in die Schranken gewiesen worden.
    Die Menschen beobachteten, wie die Bena-Kubith die Brücke zum Gelben Felsen überquerten. Bald waren sie im Schwefeldunst verschwunden. Im selben Augenblick drang ein Brodeln vom Wasser her; eine riesige, giftig schillernde Blase war aus der Tiefe aufgestiegen und trieb auf der Wasseroberfläche. In ihrem Inneren schäumte der Dampf wie in einem Kessel.
    »Es heißt, daß die Schlange eines Tages wieder zum Leben erwachen wird«, hörten die Leute die alte Frau raunen. »Wenn der Nebel kommt, der Nebel…dann wird sie ihr Haupt aus dem Wasser erheben, und ihr tödlicher Atem wird sich erneut über Harsas legen und alles Leben vernichten. Hütet euch vor dem Nebel, ich sage es euch.«
    Entsetzt starrten die Menschen auf das Meer, wo die Blase nun zerfiel, zerplatzte und gelben Dampf ausspie, der heiß und schwer und faul zum Himmel aufstieg.
    Folgendes wird vom Fall der Stadt Nes'Fara berichtet:
    Nes'Fara, die man auch die Stadt der Phantasten nannte, zeichnete sich durch die Begeisterung ihrer Bewohner für wahre und unwahre Geschichten aus. Überall in der Stadt, auf den Gassen und Marktplätzen, in den Tavernen und Badhäusern, ergötzte man sich an der Kunst der Märchenerzähler, die nach Nes'Fara strömten. Abenteuerliche Begebenheiten wurden der Menge berichtet, uralte Lieder zum besten gegeben und köstliche Schnurren erzählt. Die Gier der Menschen nach immer neuen Geschichten war kaum zu stillen. Wer etwas Spannendes zu erzählen wußte, konnte mit fürstlicher Entlohnung rechnen; in zwölf Schulen wurde die Dichtkunst gelehrt, und Sänger waren in der Stadt hoch angesehen. Der König von Nes'Fara beschäftigte in seinem Palast über hundert Barden weiblichen Geschlechts, die ihn unterhielten und ihm, wie man im Volk behauptete, zugleich als Kurtisanen dienten. Aber vielleicht war auch dies nur eine Geschichte, erdacht von einem frivolen Poeten, der die Phantasie seiner Zuhörer anregen wollte.
    Die Sucht nach Geschichten trieb mit der Zeit seltsame Blüten. Da in der Stadt ununterbrochen Märchen erzählt wurden, wußte bald niemand mehr zwischen Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden. Tatsächliche Begebenheiten wurden für ebenso wahr gehalten wie erfundene, und die Helden einer Geschichte erschienen den Bürgern von Nes'Fara kaum weniger wirklich als ihre eigenen Bekannten. Wer durch die Straßen der Stadt schlenderte und den Gesprächen der Menschen lauschte, vermochte nicht zu sagen, ob sie sich über Tatsächliches oder Erdichtetes unterhielten oder nur gemeinsam an einer neuen Erzählung spönnen. Manch einer verwechselte seine Bekannten mit den Helden der eigenen Geschichten, und die Märchenerzähler waren von ihren Zuhörern kaum zu unterscheiden.
    Als eines Tages die Kunde umherging, daß eine feindlich gesinnte Stadt aus den Bergen ein Heer nach Nes'Fara entsandt hatte, wurde dies von den Bürgern für eine weitere spannende Geschichte gehalten; niemand wußte, ob es tatsächlich eine solche Stadt außerhalb der Mauern von Nes'Fara gab oder dies nur einer alten und wahrscheinlich unwahren Legende entsprungen war. Viele hielten sogar die Berge, in denen diese feindliche Stadt liegen sollte, für eine Erfindung; andere waren der Überzeugung, jenes Heer, vor dem gewarnt wurde, hätte Nes'Fara bereits vor langer Zeit heimgesucht, und die Kunde ihres Heranrückens sei nur die Erinnerung an eine vergessene Schlacht.
    So kam es, daß Nes'Fara ohne Gegenwehr an den Feind fiel, als dieser die Stadtmauern erreichte. Nes'Fara wurde von den Truppen überrannt und bis auf den letzten Stein geschleift, seine Bewohner erschlagen, die Überlebenden verschleppt. Nichts blieb von der Stadt zurück als die traurige Geschichte ihrer Vernichtung, die so gründlich gewesen war, daß sich später nicht mit Sicherheit sagen ließ, ob es Nes'Fara überhaupt je gegeben hat oder auch sie nur eine Legende ist, die man sich am Lagerfeuer erzählt.
    So fiel Nes'Fara, die Stadt der Phantasten, als erste der sechs großen Städte.
    Seltsame Klänge wanderten über den Gelben Felsen; Gesänge, die von keiner menschlichen Stimme herrührten, Melodien, die keinem Instrument entlockt wurden. Sie wehten über den Felsen wie ein sanfter Wind, doch sonst herrschte Stille. Kein Laut drang an diesen Ort aus der Welt
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