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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm
Autoren: Mirinda Jarrett
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Gewissen rief ihr zu, dass dies hier ein Wahnsinn war, der sofort unterbunden werden musste. Sie vermochte sich indessen nicht zu wehren oder sich zurückzuziehen. Dabei war sie doch eine gute Frau, Ebenezer Allyns Witwe, und keine ... keine ...
    Sie wusste nicht mehr, was sie war und was nicht. Mit den Fingern strich Jonathan an ihrem Hals entlang, zeichnete ihre Kinnlinie nach, und dann berührten sich ihre Lippen, zuerst nur so hauchleicht, dass Demaris vor Erwartung bebend den Atem anhielt. Sie hoffte, dass jetzt das folgte, was sie zugleich fürchtete.
    Er verflocht die Finger mit ihrem seidigen Haar, zog ihren Kopf noch näher zu sich heran und bewegte seine Lippen verführerisch über ihren Mund. Ihre Glieder schienen weich wie Wachs zu werden, ihr Herz pochte wild, und in ihrem Körper breitete sich ein vollkommen unbekanntes Gefühl aus.
    O ja, sie ist durchaus eine Frau aus Fleisch und Blut, befand Jonathan, während er sie küsste. Trotz seiner Schmerzen und trotz der dämpfenden Arznei berauschte ihn der Geschmack ihrer Lippen unbeschreiblich. So nahe er selbst dem Tod auch gewesen sein mochte, in dem Kuss dieser Frau spürte er wieder das Leben und das Feuer der Leidenschaft.
    Er vertiefte den Kuss, doch schon fühlte er die Schwäche zurückkehren. Eine Frau wie diese verdiente mehr, als er ihr augenblicklich zu schenken vermochte. Widerstrebend löste er seinen Mund von ihrem. Seine Hände fielen auf die Bettdecke zurück. Noch immer verharrte Demaris mit leicht geöffneten Lippen und geschlossenen Augen über ihm, und ihre schnellen, kurzen Atemzüge streiften warm seine Wange.
    „Ich bedaure zutiefst, meine Liebe“, flüsterte er kläglich und versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen. „Ich schwöre, dass ich Euch beim nächsten Mal nicht unbefriedigt zurücklassen werde. Allerdings werdet Ihr Euch das wohl schon gedacht haben, nicht wahr?“
    Er streichelte ihre Wange, und Demaris schlug die Augen auf. „Meine süße Scheherezade“, murmelte er schläfrig. Wenn er nur mehr von ihr wüsste!
    Unvermittelt setzte sich Demaris auf. Entsetzt über ihr eigenes Verhalten drückte sie sich die Hände an den Mund. Sie fühlte noch die Hitze des Kusses auf ihren Lippen, und diese Lippen würden sie wieder so schamlos verraten.
    Sie bebte. Niemals zuvor hatte sie sich so dem Augenblick hingegeben, ohne an die Folgen zu denken. Nur war der Kuss dieses Mannes so anders gewesen als das, was sie von Eben kannte, der sie meistens nur auf die Wange geküsst hatte. Kein Wunder, dass Jonathan sie mit dieser heidnischen, sündhaften Scheherezade verglich!
    Sie zog sich ihr Umschlagtuch fest um die Schultern und über die Brüste und rang um Haltung. Der Mann war noch schwerkrank. Möglicherweise würde er sich später nicht mehr an das erinnern, was eben zwischen ihnen geschehen war. Oder er würde es für einen seiner Fieberträume halten. Wenn sie so tat, als wäre überhaupt nichts vorgefallen, würde er das vielleicht ebenfalls glauben.
    Sie atmete tief durch und hoffte nur, ihre Stimme würde nicht versagen. „Könnt Ihr mir die Namen Eurer Verwandten oder Freunde nennen, damit ich ihnen mitteilen kann, dass Ihr Euch in Sicherheit befindet?“
    Er schloss die Augen und lag minutenlang schweigend da. „Ich kann sie Euch nicht nennen, Mistress, weil ich sie selbst nicht kenne“, erklärte er schließlich so leise, dass sie sich heranbeugen musste, um ihn zu verstehen. „Mir ist, als hätte sich dichter Nebel über mein Denken gelegt, um die Wahrheit vor mir zu verbergen. Ich sehe nur Bruchstücke, kleine Fetzen, nichts, das ich zu fassen vermag.“
    Er lachte freudlos. „Das kommt sicherlich von dem Zaubertrank, den Ihr mir verabfolgt habt“, meinte er. „Ja, Euer Trank hat mein Gehirn getrübt. “ Das klang so verzweifelt, dass Demaris erschrak.
    „Der Trank enthielt doch nur Rainfarnextrakt und Honig gegen das Schwindelgefühl, sonst nichts.“
    Besorgt zog sie sich das Tuch noch fester um die Schultern. Sie hatte schon von Menschen gehört, die durch einen Schlag auf den Kopf das Gedächtnis verloren hatten, doch solche Personen hatte sie noch nicht selbst gesehen. „Ihr erwähntet, dass Ihr Euch auf einem Schiff bei der Jagd nach dem Affen eines Jungen einmal das Bein gebrochen hättet. Könnt Ihr Euch an den Namen des Jungen oder des Schiffs erinnern?“ „Hölle und Verdammnis, ich kann mich an nichts, an absolut gar nichts erinnern.“ Seinem Fluchen fehlte das Feuer; es klang nur verloren
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