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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm
Autoren: Mirinda Jarrett
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schließlich konnten sie das Rettungsboot längsseits holen. Die Schiffbrüchigen blieben noch einen Moment erschöpft und durchfroren sitzen und sammelten offensichtlich die letzten Kräfte, um an Bord der „Leopard“ zu klettern. Dann erschien einer nach dem anderen langsam an Deck. In ihre nassen Mäntel und in rasch herbeigeschaffte Decken gehüllt, drängten sie sich dann dicht um den Großmast, als befänden sie sich noch in ihrem Boot.
    Jonathan trat zu ihnen. Es war traurig mit anzusehen, was der Verlust eines Schiffes aus Männern machen konnte. Diese armen Kerle hier schienen völlig benommen und nicht in der Lage zu sein, zu sprechen oder ihren Rettern auch nur in die Augen zu sehen. Einer der Geretteten, ein älterer Mann mit grauem Bart und einem verstümmelten Ohr, schien den Tränen nahe zu sein und barg das Gesicht in einem schmierigen Taschentuch, um seinen Kummer nicht zu zeigen.
    Als letzter kam der Mann an Bord, der die Flagge geschwenkt hatte. Aus der Art, wie die anderen ihn anschauten, schloss Jonathan, dass er der Kapitän war oder gewesen war, ein untersetzter Mann mit dunklem Bart und einer schlecht verwachsenen Narbe, die durch eine seiner buschigen Augenbrauen verlief. Er trug einen Mantel mit Schultercape ähnlich einem Kutschermantel, und er schien von diesem schweren Kleidungsstück ebenso niedergedrückt zu sein wie von seinem Schicksal.
    „Jonathan Sparhawk, Kapitän der ,Leopard“, grüßte Jonathan herzlich und streckte die Hand aus. „Wir werden uns bestmöglichst um Eure Leute kümmern, zumal wir nur einen Tag vom Hafen entfernt sind. “
    Der Mann übersah Jonathans ausgestreckte Hand und blickte argwöhnisch zu ihm hoch. „Von welchem Hafen?“ Jonathan merkte, wie seine eigene Mannschaft erschrak. Niemand hatte sich bisher ihrem Kapitän gegenüber ein solches Benehmen erlaubt, ohne es sofort zu bereuen. Diesmal versagte sich Jonathan indessen jeden Verweis wegen des Verhaltens des Fremden, weil er sich sagte, dass er wohl selbst nicht allzu höflich wäre, wenn er gerade erst sein Schiff samt Ladung verloren hätte.
    „Saybrook am Connecticut River“, antwortete er nur. „Die ,Leopard' gehört allerdings den Brüdern Sparhawk aus Plumstead bei Wickhamton.“
    „Ihr meint also, Euch selbst“, stellte der Mann säuerlich fest.
    „Ich meine mich und meinen Bruder Kit, ja“, antwortete Jonathan nun doch ein wenig unwirsch. „Und wer seid Ihr, mein Freund, der sich hier auf meinem Deck befindet und Fragen stellt? Welches war Euer Schiff?“
    Der Mann verzog seinen Mund unter dem tabakfleckigen Bart zu einem hinterhältigen Grinsen. „Welches mein Schiff war, braucht uns nicht zu interessieren. Welches einmal Eures war, auch nicht. Und das bedeutet, dass jetzt meines ist, was Eures war.“
    Er schlug seinen Mantel auseinander, und zu spät sah Jonathan die langläufige Pistole in der Hand des Fremden.

1. Kapitel
    Insel Aquidneck, Kolonie Rhode Island und Providence Plantations
    Um Mitternacht und bei Hochwasser boten die Felsen von Nantasket Point auf Aquidneck keinen Schutz. Demaris Allyn zog die Kapuze ihres Umhangs ein wenig höher, versuchte, ihr Gesicht vor dem Wind und dem Sprühwasser der Gischt zu schützen und schaute auf die schwarzen Fluten hinaus.
    „Den Holländer sehen wir heute Nacht nicht mehr, Mistress Allyn“, meinte Caleb Turner. Daniel und Seth Reed neben ihm nickten. „Wenigstens nicht, solange das Wetter so bleibt. Wäre Master Allyn hier, dann ... “
    „Er ist nicht hier, Caleb. Er wird auch nie mehr hier sein, und damit hat sich’s“, fiel Demaris ihm ins Wort und bedauerte sogleich ihre scharfe Rede. Seufzend strich sie sich eine nasse Haarsträhne mit ihren klammen Fingern in dem durchfeuchteten Fausthandschuh aus dem Gesicht. „Du weißt so gut wie ich - nein, wahrscheinlich noch besser dass Kapitän van Vere in jeder beliebigen Nacht des ersten Mondviertels kommen kann. Sei das Wetter, wie es will, wir müssen warten.“
    Caleb stellte die Laterne auf einen Stein, hockte sich daneben und blies in seine zusammengelegten Hände. „Master Allyn hätte niemals auf irgendeinen verrückten Holländer gewartet“, brummte er starrsinnig. „Schon gar nicht bei so einem Sauwetter. “
    Demaris widersprach nicht mehr. Noch fünf Minuten wollte sie auf Kapitän van Vere warten, und nicht länger. Die kalte Nässe war längst durch ihren schweren Wollumhang und ihre gefütterten Röcke gedrungen. Ihre Zehen in den dicken Strümpfen waren so
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