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Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)

Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)

Titel: Breathe - Flucht nach Sequoia: Roman (German Edition)
Autoren: Sarah Crossan
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ALINA
    Nach Sequoia segeln: kein Kinderspiel, ganz klar, aber auf Eisregen und Sturmböen ist dann doch keiner gefasst gewesen. Der kleinste Fehler und wir ertrinken in diesem Fluss.
    »Hilfe«, schreie ich, verlagere mein ganzes Gewicht in die Fersen und lasse mich nach hinten kippen, um die Takelage am Wegrutschen zu hindern. Der Regen peitscht senkrecht auf uns nieder und verwandelt das Deck in eine Eisfläche. Das Boot knarrt und schlingert vorwärts, mein Cousin Silas kommt auf mich zugetaumelt und schnappt sich das Tau. Er zurrt es stramm und ich verknote hastig das Ende, damit sich die Segel nicht zu stark aufblähen und uns zum Kentern bringen. »So geht’s erst mal«, beschließe ich. Im Windgetose klingt meine Stimme ganz dünn.
    Silas zieht sich die Kapuze über den Kopf. Seit wir die Segel gesetzt haben, hat er kaum ein Wort gesagt. Keiner von uns hat das. Was soll man auch reden, jetzt, wo der Hain in Schutt und Asche liegt, wo alles Geschichte ist, wofür die Rebellen jemals gekämpft haben.
    Wenigstens lässt uns der Sturm keine Gelegenheit für trübe Gedanken: an die Schreie, das Blut, die Panzer, die heranstürmenden Soldaten mit ihren Gewehren, unsere toten Freunde im Staub. Und an die Bäume, unseren ganzen Wald, der vor unseren Augen zusammenschrumpelt. Der Geschmack des ätzenden Schaums klebt mir immer noch im Rachen.
    Ich folge Silas in die Kajüte, wo unsere winzige Truppe von Überlebenden Schutz vor dem Sturm gesucht hat. Meine Hände brennen immer noch vor Kälte. Ich versuche es mit Reiben, bis ich sie mir in den Mantel unter die Achselhöhlen schiebe.
    »Wir haben alles so gemacht, wie du’s gesagt hast«, melde ich Bruce. Wer hätte gedacht, dass ich mal so dankbar sein würde, einen Ausgestoßenen zum Verbündeten zu haben? Was auch immer der alte Mann damals im Auftrag des Ministeriums verbrochen haben mag – das interessiert jetzt niemanden mehr. Ohne ihn hätten wir das Boot niemals flottbekommen, vom Navigieren durch ein Unwetter mal ganz zu schweigen.
    »Gute Arbeit«, brummt er und kratzt sich den grauen Bart, ohne den Blick vom schmutzigen Fenster zu wenden, durch das man die Silhouetten der Ufergebäude kaum erkennen kann.
    Das Boot macht einen bedrohlichen Schlenker und reißt das Steuerrad aus Bruce’ knotigen Händen. Mein Magen muckt auf. Ich reguliere das Ventil an der Sauerstoffflasche an meinem Hosenbund, bis der zusätzliche Sauerstoff durch den Schlauch zischt, und atme tief durch die Nase. Während Silas mit Bruce das Steuerrad unterKontrolle bringt, kauere ich mich neben Maude. Die alte Frau hat ihre Decke wie ein Leichentuch um sich gewickelt, nur ihr Kopf und ein dürrer Arm ragen noch raus. »Hast du alle Sauerstoffflaschen unter Deck geschafft?«, frage ich. Ohne Luft können wir uns genauso gut in den Fluss stürzen und dem Leid gleich ein Ende bereiten.
    »Für wie bescheuert hältste mich eigentlich? Da drüben.« Sie deutet in eine Kajütenecke, wo sich die Flaschen fein säuberlich stapeln. Sieben sind wir, zehn haben wir noch. Wie viele Sauerstofftage bleiben uns da? Wie viele Stunden?
    Aus der Ecke gegenüber kommt ein Schluchzen. Dorian und Song, Rebellen wie ich, beugen sich über Holly, eine Gärtnerin aus dem Hain. Ich kenne sie nicht gut, aber jeder Überlebende zählt.
    Ich schnappe mir eine Sauerstoffflasche und schwanke in ihre Richtung. Holly schlottert, dass die Zähne klappern. Obwohl sie mit Song und Dorian im Hain gelebt und gelernt hat, mit sauerstoffarmer Luft auszukommen, atmet sie hektisch und flach. »Sie hyperventiliert. Sie braucht eine von denen hier.«
    Dorian richtet sich auf und fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Das wird sie garantiert nicht wollen.«
    Ich versuche, ihr die Stirn zu fühlen, doch sie schlägt meine Hand fort und zerkratzt sie mit ihren Nägeln.
    »Die hat se nich mehr alle«, schnarrt Maude und pult an ihrem schorfigen Ellbogen herum.
    Die Hände fest am Steuer späht Bruce unter dichten Augenbrauen rüber zu Holly und seine Miene verrät genau, dass er so etwas nicht zum erstem Mal sieht.Natürlich nicht. Auch damals nach dem Switch sind die Leute durchgedreht, als der Sauerstoffgehalt in den Keller ging und alle schleichend erstickten. Maude und er haben es überlebt. Doch was sich hier abspielt, fühlt sich schwer nach Untergang an. Es ist schlimmer als je zuvor. »Die kommt schon wieder in Ordnung«, brummt Bruce. Maude schnaubt, spart sich aber den Kommentar. So herzlos ist sie auch wieder
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