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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm
Autoren: Mirinda Jarrett
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und traurig. Außerdem war seiner jetzt lallenden Stimme anzuhören, dass der Trank nun doch Wirkung zeigte. „Ich weiß weder den Namen meines eigenen Vaters noch den meiner Mutter. Euren ebenfalls nicht. Ich kann Euch nicht einmal beim Namen danken.“
    „Demaris“, flüsterte sie. „Ich heiße Demaris Allyn, und Ihr habt diesen Namen zuvor nicht gekannt.“
    Jonathan war bereits in die Bewusstlosigkeit geglitten. Wahrscheinlich würde er den Tag und die folgende Nacht durchschlafen. Trotzdem durfte sie ihn nicht allein lassen, um mit den anderen hinauszugehen und auf van Vere zu warten. Sie wollte Calebs Frau Ruth bitten, bei Jonathan zu wachen. Eilig kleidete sie sich an, versorgte das Herdfeuer, warf noch einen letzten Blick zu dem Schlafenden hinüber und schloss dann leise die Haustür hinter sich.
    Die Sonne stand schon höher über dem Wasser. Demaris schaute zum Haus zurück und versuchte, nicht fortwährend an den Mann zu denken, der in ihrer Küche schlief. Seit sechs Jahren war dieses Haus ihr Heim, und sie vermochte sich nicht vorzustellen, jemals anderswo zu wohnen. Ebens Vater hatte es nach den letzten Indianer kriegen gebaut, nachdem König Philips Soldaten die alte Farm niedergebrannt hatten.
    Die Vorderfront war mit jetzt silbergrau verwitterten schmalen Holzschindeln verkleidet. Das Haus war einstöckig, ein hoher, spitzer Giebel befand sich über der Tür, und die neun Fenster waren mit Bleiglasscheiben versehen, die extra aus London geliefert worden waren und damals eine Menge Getuschel über Allyns Dünkelhaftigkeit ausgelöst hatten. Die Nordseite des Hauses bestand aus Feldstein und erhob sich zu einem massiven Kaminabzug, der seitwärts bis auf die Höhe des Küchenherds abfiel.
    Hinter dem Haus befanden sich ein kleiner Stall, der Brunnen, das Hühnerhaus und der Küchengarten. Eine Steinmauer fasste den Hof ein und schützte vor allem die Sommerblumen, Chrysanthemen sowie Stock- und Buschrosen, die Eben aus London für Demaris hatte kommen lassen.
    Demaris lächelte traurig, als sie an Eben dachte. Obwohl Nantasket von Anbeginn den Allyns gehört hatte, war Eben nie wirklich daran interessiert gewesen. Für Demaris hingegen bedeutete das Anwesen viel mehr.
    Die meiste Zeit ihres Lebens hatte sie sich zwischen Almosen und Armut bewegt. Mit ihrer verwitweten Mutter und drei Kusinen hatte sie zusammengedrängt in einem zugigen Dachboden über der Werkstatt ihres Onkels in Newport gelebt. Für sie waren dreißig Hektar Nantasket-Land mehr, als sie sich jemals hätte vorstellen können.
    Als weitgereister Seemann hatte sich Eben durch die Arbeit für die Farm, die ihm von seinem Vater vererbt worden war, angebunden gefühlt. Schmuggeln war zu dem besten -und auch einträglichsten - Mittel gegen seine Langeweile geworden. Mit dem Geld der Kaufleute aus Newport, die seinen unverzollten Alkohol erstanden, konnte er es sich leisten, seine Schafe zu verkaufen und das Farmland brachliegen zu lassen. Wenn Demaris sich um seine persönliche Sicherheit sorgte, verspottete er sie nur leise.
    Im vergangenen Herbst war dann die Nacht gekommen, in der Eben und seine Männer im dichten Nebel an ein anderes Schiff gerieten. Ob es ebenfalls Schmuggler wie sie, Piraten oder Zollfahnder waren, erfuhren sie nie so genau. Jedenfalls war Eben innerhalb einer Minute tot, erschossen. In ihrem Kummer hatte Demaris gelobt, dem Schmuggel abzuschwören.
    Doch dann war eine Woche nach Ebens Beerdigung der Advokat zu ihr gekommen. Eben hatte sie zwar als Alleinerbin eingesetzt, doch er hatte das Land so hoch beliehen, dass der Rechtsgelehrte ihr dringend riet, die Farm, das Haus und die Sklaven zu verkaufen, da dies die einzige Möglichkeit wäre, Ebens Schulden abzutragen. Er drängte sie, nach Newport zurückzukehren und sich mit den ihr verbleibenden Mitteln eine bescheidene Witwenwohnung zu suchen, bevor die Gläubiger Nantasket' für sich beanspruchten und ihr überhaupt nichts mehr ließen.
    Beklommen hatte Demaris zugehört. Nach Ebens Tod war doch Nantasket alles, was ihr noch blieb, und der Gedanke, dass sie jetzt auch noch ihr Heim verlieren sollte, war ihr unerträglich. Zu genau wusste sie, wie es war, arm und von anderen abhängig zu sein, und als Kapitän van Vere im November zurückkehrte, stand sie wartend am felsigen Strand.
    Seitdem hatte sie ihren ganzen Profit in die Farm gesteckt und den Tag herbeigesehnt, an dem sich diese wieder selbst würde tragen können. Und sie hatte darum gebetet, dass
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