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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz
Autoren: Ravensburger
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anschloss, damit das schlagende Herz sie antrieb. Aber es gelang ihm nicht.
    Immer gab es etwas, was nicht funktionierte. Schließlich lag das Spielzeug ebenso leblos da wie der Sperling, und der Puppenmacher warf beide wütend ins Feuer und sah zu, wie sie verbrannten.
    Obwohl er so schnell arbeitete, passierte es manchmal, dass das Herz aufhörte zu schlagen, noch bevor er es in das Spielzeug gelegt hatte. Ein andermal schlug es weiter, nur für einen Moment, die Glieder des Spielzeugs ruckelten und die Augenlider flackerten, als wollten sie sich öffnen, doch dann blieb das Herz stehen und konnte durch nichts wieder zum Schlagen gebracht werden.
    Je mehr Versuche er machte, desto näher kam er der Antwort, bis er eines Tages wusste, was das Problem war. Es lag an dem Messer. Wenn er dem Sperling das Herz herausschnitt, schnitt er ihm auch das Leben heraus. Was er brauchte, war eine Klinge, die so fein war, so scharf, so winzig, dass sie zwischen ein Herz und sein Leben passte, ohne die beiden voneinander zu trennen.
    Mit der Herstellung einer solchen Klinge begann er, als die Uhren in der Stadt vier schlugen und die Fensterläden geschlossen waren. Im Licht des Kaminfeuers und seiner hellsten Lampe, das sich in hundert schwarzen Vogelaugen in den Käfigen an der Wand spiegelte, versuchte er eine Klinge herzustellen, die so fein war, dass man sie nicht sah, so hart, dass ein Schwert sie nicht zerschlagen konnte, so scharf, dass sie zwischen ein Herz und sein Leben passte und die beiden nicht voneinander trennte.
    Nachdem er die Klinge fertiggestellt hatte, steckte er sie in einen Griff aus Elfenbein. Es war eine Klinge, so unbarmherzig wie der Frost, so dünn, dass man zwar den Griff aus Elfenbein sehen konnte, aber nicht die Klinge selbst, so genau man auch hinschaute. Nie zuvor war etwas hergestellt worden, was so scharf war wie sie.
    Als der Puppenmacher die Klinge in die Brust eines Sperlings stieß, blickte der Vogel ihn einen Augenblick lang überrascht an. Er wusste gar nicht, dass ihm das Herz herausgeschnitten worden war. Der Puppenmacher legte das winzige, noch schlagende Etwas in das offene Spielzeug auf seiner Werkbank und schloss die Schwungräder und die Zahnräder an, die winzigen Getriebestangen und Stifte. Dann lehnte er sich zurück und wartete, während das Herz weiterschlug.
    Das Spielzeug bewegte seine Glieder wie ein Mensch beim Aufwachen – und öffnete die Augen.

Teil I

Der Gehilfe des Zauberers

Der Mann mit dem weißen Gesicht
    Wie die meisten Zirkusse war auch dieser nicht sehr groß. Kaum dass er diesen Namen verdiente. »Wanderbühne« wäre die treffendere Bezeichnung gewesen. Alles Zubehör passte in zwei Wagen. Auch noch so viel leuchtend bunte Farbe konnte nicht verbergen, dass das Holz der Aufbauten bereits zu vermodern begann. Es gab nur vier Zugpferde, zwei für jeden Wagen. Sie waren alt und abgemagert bis auf die Knochen. Wie sie es schafften, die schweren Wagen durch den winterlichen Morast zu ziehen, ist mir ein Rätsel, aber Pferde können das. Solange nur ein Funken Kraft in ihnen ist, gehen sie immer weiter. Pferde haben ein großes Herz. Hast du gewusst, dass man ein Pferd zu Tode reiten kann? Das geht wirklich. Es wird stumm leiden. Es läuft weiter und immer weiter, bis es vor Erschöpfung tot unter dir zusammenbricht. Dann musst du zu Fuß weitergehen. Wenn du also einigermaßen schlau bist, hältst du vorher an. Du lässt das Pferd ausruhen, wenn es Ruhe braucht. Wann dieser Zeitpunkt gekommen ist, musst du entscheiden, denn das Pferd kann es dir nicht sagen. Es wird einfach weitergehen und immer weiter, bis es tot umfällt. Stell dir das vor.
    Früher einmal hatte der Zirkus zwei Pferde mehr als jetzt. Sie gingen an einer langen Leine hinter dem zweiten Wagen her und wurden ausgetauscht, wenn die vorderen eine Pause brauchten. Aber in diesen Zeiten waren die Straßen unsicher. In den dichten Wäldern verbarg sich allerhand Gefährliche s – Wölfe und Menschen. Eines Tages holten sich die Wölfe die Pferde. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kamen sie lautlos aus dem Wal d – lautlos und hungrig und groß. Sie hatten die beiden Reservepferde gerissen, bevor irgendjemand etwas unternehmen konnte. Die Pferde wieherten und zerrten an ihren Stricken, aber die Wölfe schlugen die Zähne in ihre Beute und ließen nicht mehr los, obwohl die Tiere noch mit dem Halfter angehängt waren und die Zugtiere vor dem Wagen die wild ausschlagenden Pferde mitsamt den Wölfen
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