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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz
Autoren: Ravensburger
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gewesen.
    Diese Geschöpfe waren überhaupt keine Menschen.
    Die Frau konnte sehen, wie er sie ungläubig anstarrt e – sie sah sein Gesicht, die Halle, den Rauc h – doch für sie war es, als läge die Welt hinter einer dicken Glasscheibe. Sie brachte nicht einmal die Worte heraus, die sie sagen wollte. Sie gingen unter in einem ohrenbetäubenden Sirren, das klang, als seien Wespen in ihrem Kopf, und von Tausenden winziger Schwungräder und Zahnrädchen herrührte, die sich immerzu drehten, und über all dem Lärmen vernahm sie, wie den Schlag einer Trommel, das Pochen ihres Herzens.
    Nur ein Wort brach aus ihr heraus und es war wie ein Schrei: »Iii…ch!«
    Was dann geschah, glich einem sich dahinschleppenden Albtraum. Auf der Treppe hinter ihnen loderten Flammen. König lag gekrümmt an der Wand, wo er zusammengebrochen war. Mathias konnte nicht erkennen, ob er noch lebte oder schon tot war, doch mit Kattas Hilfe stellte er ihn auf die Füße. Halb ging er und halb schleiften sie ihn durch das hohe Fenster auf die Terrasse.
    Der Palast brannte lichterloh.
    Das Feuer war ungehindert von einem Gebäude auf das nächste übergesprungen und jetzt stand alles in Flammen. Leute rannten herum und schrien, und die Pferde, die man aus den brennenden Ställen befreit hatte, liefen in Panik zwischen ihnen hin und her. Überall Qualm, Feuer und Lärm.
    Eine lange, kunstvoll gearbeitete Treppe wand sich von der Terrasse hinunter in den Garten. Mit König zwischen sich stiegen sie Stufe um Stufe hinunter.
    Niemand hielt sie auf. Niemand befragte sie. Sie schoben sich durch eine dichte Menschentraube hindurch und niemand schaute sie auch nur a n – weder am Tor noch in den Straßen und Gassen. Alle hatten nur Augen für die lodernden Flammen und die glühenden Ascheflocken, die der Wind über die frostweißen Dächer der Unterstadt trug.
    Manchmal schien es, als wüsste sie, wer sie war; manchmal nicht. Katta fasste sich immer wieder mit den Händen an den Kopf und schrie und Mathias konnte ihr nicht helfen.
    Endlich erreichten sie die Stallungen. Es war inzwischen dunkel geworde n – eine gespenstische, von Flammen gefärbte Dunkelheit voller Schatten, die sich bewegten.
    Mathias legte König ins Stroh. In dem unbeleuchteten Raum sah das blutleere Gesicht einen Augenblick lang aus wie Gustavs Antlitz vor all der Zeit.
    »Wir müssen Hilfe holen«, sagte Mathias, doch Katta antwortete nicht.
    Sie kauerte im Stroh, wiegte sich vor und zurück, die Hände am Kopf. Sie versuchte den Lärm auszuschalten, der sie wahnsinnig machte. Doch Mathias verstand ihre Gesten nicht. Er sah nur die Verrückte, die in dem dreckigen Stroh vor und zurück schaukelte.
    Er wusste nicht, was er tun sollte. Die Welt verschwamm um ihn herum, als die Ungeheuerlichkeit der Geschehnisse und seine eigene Hilflosigkeit ihn überwältigten.
    Dann bemerkte er in dem flackernden Licht, das von draußen auf die Wand fiel, den Sattel.
    Irgendwo in den Wäldern in der Nähe musste es Köhler geben. Sie würden helfen, wenn er sie nur finden könnte. Sie würden wissen, was zu tun war.
    Nach einem Blick auf die Verrückte und den Sterbenden zog er den Sattel von der Wand. Er hievte ihn auf den Rücken des Pferdes. Es drehte den Kopf und er sah das Weiße in seinen Augen, sah die Wildheit, doch sie kümmerte ihn nicht. Er suchte unter dem Bauch nach dem Gurt und zog ihn so fest an, wie er konnte, dann beugte er sich über König und schüttelte ihn.
    Langsam, so als hätte man ihn aus weiter Ferne gerufen, öffnete König die Augen.
    »Kannst du reiten?«, fragte Mathias, das Gesicht dicht an dem von König. »Du musst reiten.«
    Hättest du am Stadttor gestanden, hättest du sie vielleicht gesehe n – einen Jungen, der ein ungewöhnlich großes Pferd am Zügel führte, einen verbissen dreinschauenden Mann im Sattel und eine Frau mit irrem Blick, die nebenherging, die Hand am Steigbügel.
    Aber du hättest sie nicht beachtet. Du hättest nur Augen für das Feuer gehab t – für die gewaltigen Flammensäulen, die über dem höchsten Punkt des Hügels standen.
    Nein, sie wären dir nicht aufgefallen.
    Und der Junge blickte nicht zurück.

Epilog
    Im Frühjahr schmilzt das Eis im Hafen. Die Eisschollen brechen auseinander und treiben hinaus aufs Meer.
    Um diese Zeit kann es vorkommen, dass gelegentlich ein paar Leute in einem Boot zur Insel hinüberfahren, um das Kloster des heiligen Becca des Älteren zu besichtigen. Sie gehen dann zwischen den Ruinen umher
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