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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz
Autoren: Ravensburger
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Ende des Ganges führten ein paar Stufen zu einer Tür hinauf. Sie war verriegelt. Auf der obersten Stufe stellte Häller die Laterne ab, schob den Riegel zurück, stieß die Tür auf und führte sie in das helle, kalte Tageslicht des runden Raumes. Einen Augenblick lang war Mathias geblendet.
    Dann sah er sie. Sie lag auf einem sauber gescheuerten Tisch, halb zugedeckt mit einem fleckigen Laken. Ihr Mund war geöffnet, als wollte sie etwas sagen, doch ihre Augen waren glasig und blicklos. Sie starrte hinauf zu dem gläsernen Dach und dem kalten Winterhimmel.
    Er rief ihren Namen. In seiner Verwirrung zog er König am Ärmel. König stolperte und das genügte Häller. Im Nu hatte er eine kurze Klinge aus dem Aufschlag seines Fracks gezogen. Doch er ging nicht auf König los. Jemand anders stand viel dichter bei ihm. Häller hatte einen Schritt zur Seite gemacht, als sie den Raum betreten hatten, und Stefan war als Letzter durch die Tür gekommen. Vielleicht war er bewusst zurückgeblieben. Vielleicht hatte er zu viel Angst gehabt weiterzugehen. Jedenfalls drückte Häller in einer einzigen schnellen Bewegung die scharfe Klinge an Stefans Kehle, legte ihm den anderen Arm um den Hals und schleifte ihn rückwärts durch die Tür. Bevor König etwas unternehmen konnte, hatte Häller sie zugeworfen und den Riegel vorgeschoben.
    König hämmerte gegen die geschlossene Tür, doch sie ging nicht auf. Durch das dicke Holz hörten sie Stefan schreien, dann verstummte er abrupt, und es folgte ein entsetzliches Keuchen, wie von einem Schaf, das nachts auf dem Feld hustet. Dann war alles still. Mathias sah, wie ein Rinnsal aus Blut langsam unter der Tür durchfloss und dabei Staub und Sand auf dem Boden vor sich herschob. Auch König entdeckte es. Er rief Stefans Namen und hämmerte mit aller Kraft gegen die Tür, doch es kam keine Antwort. In der nachfolgenden Stille hörten sie nur Hällers Schritte, die sich ohne Eile über den Gang entfernten.
    König lehnte kraftlos die Stirn an die Tür und schloss die Augen. Dann sah Mathias die Tränen auf seinen Wangen. Er wiederholte mehrmals Stefans Namen und weinte lautlos.
    Mathias sah ihn schweigend an. Plötzlich ergab alles einen Sin n – König und Stefan. Warum war es ihm nicht schon vorher aufgefallen?
    Er zwang sich, sich umzudrehen und Katta noch einmal anzusehen, aber es gab keinen Zweifel, sie war tot. Er hatte das Gefühl, als sei jetzt alles vorbei.
    Als er so dastand und sie betrachtete, kam König von der Tür herüber und schob ihn beiseite. Er beugt sich über Katta und tastete am Hals nach ihrem Puls, aber da war keiner. Er strich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und schloss ihren Mund und die Augen.
    Mathias war schlecht. Er konnte nicht mehr hinsehen. Er wandte sich ab. In seinem Kopf war ein lautes Geräusch wie von einer Glocke. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass es tatsächlich eine Glocke war. Erschrocken blickte er zu König auf.
    »Sie kommen«, sagte er.
    Doch König konnte nicht antworten. Er lehnte am Tisch, die Hand gegen seine Wunde gepresst. Sein Atem kam in kurzen, flachen Stößen. Als er den Kopf hob, war sein Blick gläsern. Er schüttelte den Kopf.
    »Lass sie kommen«, sagte er.
    »Nein!«
    In Mathias erwachte ein Entschluss: Er würde nicht sterben wie Katta oder Stefan. Nicht hier. Nicht so.
    Er legte den Arm um König, biss die Zähne zusammen, um das Aneinanderreiben der Knochen in seiner Brust aushalten zu können, und zog ihn zu der einzigen weiteren Tür. Es war jene, durch die Katta eingetreten war. Sie war nicht abgeschlossen. Der Raum dahinter erschien noch genau so, wie sie ihn beim Aufwachen gesehen hatt e – halb zusammengebaute Apparate, die auf ein Herz warteten. Ein schrecklicher Ort. Mathias versuchte König dazu zu bringen, schneller zu gehen, doch König konnte sich nur schleppend vorwärtsbewegen. Als Mathias ihn weiterziehen wollte, schob er seine Hand weg. Er sagte etwas zu Mathias, doch so leise, dass dieser seine Worte nicht verstehen konnte. Unter großer Anstrengung wiederholte er die Worte.
    »Verbrenn es. Verbrenn alles.«
    Da begriff Mathias.
    Er begann die Tische leer zu fegen, warf sämtliche Krüge und Flaschen mit Spiritus auf den Boden. Er riss einen Vorhang herunter und stampfte ihn in die nasse Schweinerei, die er angerichtet hatte. Dann trat er zurück und schaute zu, wie König die Pistolenpfanne abdeckte und den Feuerstein zündete. Ein einzelner Funke fiel in einem Bogen auf den Boden,
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