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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz
Autoren: Ravensburger
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davon. In dünnen schwarzen Rinnsalen lief es ihm über das weiße Gesicht. Die Männer legten ihn wieder auf den Boden und traten zurück. Andere drängelten sich vor, um besser sehen zu können. Mathias kam nicht durch. Ein Mann bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Menge. Mathias packte ihn am Mantel, hielt sich gut fest und wurde mitgezogen. Es war der Mann mit dem Gehstock. Er rief: »Lasst mich durch!«, und stieß die Gaffer beiseite.
    Als er den Wagen erreichte, kniete er sich neben Gustav auf den Boden, legte sein Ohr an die Brust des alten Mannes und lauschte. Fackeln beleuchteten die schreckliche Szene. Mathias sah alle s – die sensationshungrigen Gesichter der Menge in den flackernden Schatten, den hochgewachsenen Mann, dessen Kopf auf Gustavs Brust ruhte, die Blutspuren auf dem kalkweißen Gesicht seines Großvaters.
    »Er lebt«, sagte der Mann. Er zeigte auf die beiden Männer, die am dichtesten bei ihm standen. »Du und du. Hebt ihn auf.«
    Der Wagen war auf dem großen Platz vor der Herberge der Poststation abgestellt worden. Die beiden Männer trugen Gustavs schlaffen Körper wie einen Sack Mehl zwischen sich. Der Mann mit dem Gehstock ging voraus. Als sie in den Hof der Herberge kamen, rief er: »Wir haben einen Verletzten!«
    Der Schenkwirt in seiner dicken Lederschürze blickte erst auf Gustav herab und dann auf die kleine Menschenmenge, die aus Neugier mitgekommen war. Hier gab es offenbar kein Geld zu verdienen. Er zeigte auf einen der leeren Ställe.
    »Ich zahle«, sagte der Mann mit dem Gehstock.
    Mit einem weiteren Blick auf Gustav schüttelte der Wirt den Kopf. »Er kann da drin genauso gut sterben wie in einem meiner Betten.«
    Der Mann mit dem Gehstock widersprach nicht.
    Sie trugen Gustav durch eine offene Stalltür und legten ihn in das hoch aufgeschichtete schmutzige Stroh. Jemand zündete eine Lampe an.
    »Sollten wir nicht einen Doktor holen?«, fragte Mathias.
    Erst da bemerkte ihn der Mann. Er musste gedacht haben, der Junge sei nur einer der Neugierigen. Ein paar Gaffer hatten sich in den Stall gedrängt. Diejenigen, die nicht hineinkamen, spähten durch die offene Tür herein.
    »Er ist mein Großvater«, sagte Mathias.
    Der Mann blickte ihn mit neu erwachtem Interesse an. »Du brauchst keine Angst zu haben, Junge«, sagte er mit einer harten, kalten Stimme. »Ich bin Arzt. Kannst du schnell laufen?«
    Mathias nickte.
    »Dann lauf und sag deinen Zirkusleuten, was passiert ist. Und danach bringst du mir sauberes Wasser und ein Tuch. Geh, beeil dich! Und ihr«, wandte er sich an die Männer, die Gustav getragen hatten, »ihr haltet mir diesen Haufen vom Leib!«
    Er steckte dem ersten Mann etwas Geld zu. Es bedurfte denn auch keiner weiteren Bitten. Die beiden Kerle waren groß und kräftig und hatten durch Hiebe und Geschiebe im Nu den Stall geleert. Der Mann mit dem Gehstock schloss die Tür hinter ihnen und wandte sich dann Gustav zu, der bewusstlos im Stroh lag. »Dann wollen wir mal sehen, ob du wirklich der bist, für den ich dich halte«, sagte er.
    Mathias lief, so schnell er konnte, zu Lutsmann. Lutsmann hatte schon gehört, was passiert war, doch seine Sorge war eine ganz andere als die von Mathias. Er stand hinter dem Wagen mit den Kostümen und stritt sich mit Estella, denn er wollte sie dazu bewegen, noch einmal auf die Bühne zu gehen. Doch sie stand nur da und hatte die Hände in die schlanken Hüften gestemmt. Sie habe ihren Teil geleistet, sagte sie. Sie würde nur dann eine Zugabe machen, wenn er sie dafür bezahlt e – bei diesen Worten streckte sie die Hand aus wie jemand, der eine Münze zwischen den Fingern prüft.
    Lutsmanns Gesicht war dunkelrot angelaufen. Die Leute, die es vorgezogen hatten, auf die nächste Nummer zu warten, anstatt Gustav zur Herberge zu folgen, wurden ungeduldig. Mathias hörte sie pfeifen und Steine auf die leere Bühne werfen. Da trat urplötzlich Anna-Maria aus der Dunkelheit. Mathias hatte sie zunächst gar nicht erkannt. Sie marschierte an Lutsmann vorbei und gab Estella mit der bloßen Hand eine so gewaltige Ohrfeige, dass der Frau danach bestimmt die Zähne wackelten. Estella kreischte und stürzte sich mit bloßen Händen auf Anna-Maria, die ihr mit der Reitgerte eins überzog. Die beiden Frauen packten einander an den Haaren, zogen und kratzten und stürzten zu Boden. Lutsmann versuchte sie zu trennen. Da biss ihn Estella fest in die Hand. Er brüllte und versetzte ihr einen Tritt. Jetzt gab es kein Halten mehr.
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