Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin
Autoren: Toti Lezea
Vom Netzwerk:
BILBAO, Sommer 1476
     
     
     
    Toda de Larrea sah aus dem Fenster ihres Hauses, des Turms Etxeberri an der Ecke zur Carnicería Vieja, um das Eintreffen des königlichen Gefolges zu beobachten.
    »Sie kommen! Sie kommen!«
    Auf ihr Geschrei hin eilten ihre Mutter und ihr Bruder herbei und versuchten sich einen Platz an dem schmalen Fensterchen zur Plaza zu erobern.
    »Sei vorsichtig, Toda!«, rief Doña Mayor, als sie sah, wie sich ihre Tochter über die Brüstung lehnte.
    Ihr Bruder Pedro packte sie um die Taille und stellte sie mit den Füßen auf den Boden.
    »Da kommt der König!«
    Der Thronfolger von Aragón und Mitregent von Kastilien, Don Ferdinand, zog in die Stadt ein, um im Namen seiner Gemahlin den Schwur auf die Fueros abzulegen, die Rechte und Privilegien der Grafschaft. In ihrem jungen, fünfzehnjährigen Leben war Toda noch nie Zeugin eines solchen Ereignisses geworden, doch sie war nicht die Einzige, die aufgeregt war. Die gesamte Bevölkerung war es aus dem einen oder anderen Grund. Die Stadtväter, weil der Aufenthalt des Königs in Bilbao das größte Ereignis war, das stattfinden konnte; die Anführer der einzelnen Adelsgeschlechter, weil sie die Waage der Privilegien zu ihren Gunsten neigen wollten; die Händler und Krämer, die während der Feierlichkeiten auf fette Einkünfte hofften; und das Volk, das für ein paar Tage seine Nöte und Sorgen vergessen konnte, um auf Kosten des Stadtsäckels zu feiern, zu tanzen und zu trinken.
    Es hatte erbitterte Machtkämpfe gegeben. Die Adelshäuser hatten einander die Ehre und das Recht streitig gemacht, den Empfang für Don Ferdinand auszurichten. Die Ratsherren und die besonneneren Mitglieder der beiden Parteien, die sich die Regierung der Stadt streitig machten, mühten sich vergeblich, die erhitzten Gemüter zu besänftigen. Der Zwist griff auf Straßen, Schänken und öffentliche Plätze über, und es verging kein Tag ohne Fehden mit Verletzten und gar Toten, verursacht durch den abgrundtiefen Hass, den Gamboinos und Oñacinos gegeneinander hegten.
    »Es ist wie so oft nur ein Vorwand, um dem unbegreiflichen, seit Generationen schwelenden Hass unter den Adligen der Biskaya freien Lauf lassen zu können. Dabei sollte deren vorrangiges Interesse doch das Wohl ihres Landes sein«, bemerkte Pedro de Larrea zu seiner Mutter und seiner Schwester.
    Auch er war bei einigen der Händel dabei gewesen, wie es seine Verwandten von ihm verlangt hatten, insbesondere Tristán Díaz de Leguizamón, der allmächtige Anführer der Oñacinos, des Adelsgeschlechts, dem auch die Larreas angehörten. Sein Wort war Gesetz, und die meisten seiner Parteigänger leisteten ihm Folge, ohne es infrage zu stellen, denn es ging um weitaus mehr als nur die Ehre oder die Verteidigung des guten Namens: Die Bestätigung der Zollrechte und des Rechts auf Handel mit fremden Ländern, der Warenhandel und die Betreibung der Schmieden, die Freizölle, Wegerechte, Hafenzölle und sonstigen Steuern; Pachtzinsen, die Ausbeutung der Minen, die Einsetzung von Ämtern und Präbenden, Privilegien, Freibriefe und vieles mehr waren Sache des Königs. Darum ging es den in Bilbao residierenden Adelsherren. Wer die meisten Rechte erhielt, würde reicher sein als die anderen und die größte Macht haben. So war es immer gewesen und so würde es auch weiterhin sein.
    Dieses Mal obsiegte die Partei der Oñacinos. Leguizamón, Butrón, Arbieto, Arbolantxa und weitere führende Männer machten sich daran, den Empfang für den König vorzubereiten. Hunderte von Kapaunen, Hühnern, Zicklein, Seebarschen und Doraden wurden gekauft und eingesalzen; Gewürze, Honig und Weizen zur Herstellung von Brot und Naschwerk herbeigeschafft; Früchte aller Art, um sie frisch und eingekocht zu verzehren; Eier, Milch, Apfelwein; und Wein, der in großen Fässern aus der Rioja, aus Bordeaux und La Rochelle eintraf. Das alles, natürlich, zu Lasten der Grafschaft. Don Ferdinand würde im Turm Arbieto logieren und die Tage, die der Kronprinz in der Stadt weilte, wurden zu Festtagen erklärt. Es würden Feierlichkeiten stattfinden, Feuerwerke, Tänze, Spiele, alles, was einer so hohen Persönlichkeit für angemessen erachtet wurde. Niemand, der diese Lustbarkeiten miterlebte, sollte jemals vergessen, dass ihm das Privileg zuteil geworden war, eines der mächtigsten Fürsten der Christenheit ansichtig zu werden.
    »Dort! Dort!«
    Ein Raunen ging durch die Zuschauer. Hinter den Hellebardieren, Soldaten zu Fuß und zu Pferde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher