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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin
Autoren: Toti Lezea
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Zeit fertigte sie kunstvolle Abschriften an, Einkommensquelle der Klostergemeinschaft. Während die Druckkunst ihren Siegeszug antrat, erhielten sie weiterhin Aufträge von Adligen und Begüterten, die einen handgeschriebenen Kodex mit großen Kapitelbuchstaben in Gold, Rot oder Blau und prächtigen Zeichnungen von Pflanzen, Tieren und Arabesken stiften oder einfach besitzen wollten. Unter allen Nonnen im Skriptorium war sie für die erlesenste Arbeit ausgewählt worden.
    Die Äbtissin wollte der Frau, die während so vieler Jahre der Schutzengel des Klosters gewesen war, ein Geschenk machen und fand, dass eine solch kostbare Handschrift zweifelsohne eine Gabe wäre, welche die Regentin zu schätzen wisse. Sie beauftragte María mit der Anfertigung eines Stundenbuches zu Ehren der Jungfrau María und ermunterte sie, ihre besten Pinsel, ihr ganzes Können und all ihre Begeisterung an die Fertigstellung dieses Werks zu verwenden.
    Der Kodex kostete sie fast ein Jahr Arbeit. Mit Ausnahme der Stunden, die dem Gebet und der Gemeinschaft gewidmet waren, war sie von allen weiteren Aufgaben freigestellt. Sie verwandte ihren ganzen Eifer daran, und das Ergebnis lohnte die Mühe. Mit kritischem Blick sah sie Seite für Seite durch und versuchte jeden noch so kleinen Fehler zu entdecken. Es erfüllte sie mit großem Stolz, als sie feststellte, dass die Arbeit perfekt war. Das Stundenbuch enthielt zweiundvierzig ganzseitige Miniaturen und zwölf kleinere auf ausgewählten Seiten. Jede Miniatur zeigte eine reich ausgeschmückte Szene aus dem Leben der Gottesmutter: María Geburt, María Opferung, Heimsuchung, Verlöbnis, Geburt Jesu, der Tod Mariens, María Himmelfahrt… Jede Illustration war von einem Schmuckrahmen umgeben, in welchem sich, durch goldene Linien verbunden, Lilien, Seerosen, Haselnussblätter, Artischocken, Disteln, Lorbeer und unbekannte, von ihr selbst erdachte Pflanzen kunstvoll ineinander verschlangen. Die Rahmen hatten fast so viel Zeit in Anspruch genommen wie die Illustrationen selbst, und es hatte ihr großes Vergnügen bereitet, Phantasiegärten zu erschaffen, in denen sie sich träumend verlor, auf der Suche nach unbekannten Landschaften, die sie jenseits der Ebene von Zapardiel vermutete, die sie vom Kloster aus überblicken konnte.
    Der Einband aus Sämischleder auf Holz, verziert mit Einlegearbeiten und kostbaren Steinen, Prägung und goldenen Schließen, war das Werk eines Goldschmieds aus Valladolid. Meister Francisco war ein angesehener Künstler, der schon zuvor einige Arbeiten für die Königin angefertigt hatte. Der Preis war gewiss sehr hoch, doch ging er nicht zu Lasten der stets knappen Klosterkasse. Die Äbtissin, sehr gewandt in der Kunst, das Geistliche mit dem Irdischen zu verbinden, erreichte, dass sich einige adlige Damen zum höheren Ruhme der heiligen Muttergottes, der Königin und ihrer selbst an dem königlichen Geschenk beteiligten. Sie versprach ihnen einen gut sichtbaren Platz in der Widmung, damit die Königin ihren Anteil an solch kostbarer Gabe nicht vergäße.
    Und schließlich kam der lang ersehnte Tag. Da hielt sie nun das Buch in Händen, während die Äbtissin die Ansprache hielt, die sie vorbereitet und mit großem Eifer einstudiert hatte; darin dankte sie der Königin für die vielen großzügigen Zuwendungen, die sie dem bescheidenen Kloster im Laufe so vieler Jahre gewährt habe, und pries ihre Weisheit, Güte und Gerechtigkeit. Doña Isabella saß auf dem geschnitzten Stuhl, der nur ihr vorbehalten war, umgeben von ihren Zofen, den Nonnen und den vornehmen Damen, die sich an dem Geschenk beteiligt hatten, und hörte abwesend zu, den Blick auf einen unbestimmten Punkt im Raum gerichtet. Manchmal, nur manchmal und für einen kurzen Augenblick, ruhten ihre Augen auf dem Buch und dann auf seiner Schöpferin. Der jungen Nonne kamen die wenigen Minuten, während die Äbtissin sprach, wie eine Ewigkeit vor. Sie hatte feuchte Hände, und ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper vom Kopf bis zu den Füßen.
    »… und mögen Euer Hoheit gestatten, dass wir Euch, in aller Bescheidenheit, zum Beweis unserer Verehrung für Eure Person, dieses Geschenk überreichen…«
    Die Äbtissin gab ihr ein Zeichen, und María trat unsicher vor die Königin, kniete nieder und präsentierte ihr den Kodex. Doña Isabella nahm ihn an sich, ohne ihr einen Blick zu schenken, und blätterte in der Handschrift. Sie war eine sehr gebildete Frau, eine Seltenheit in jener Zeit, selbst für eine
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