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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin
Autoren: Toti Lezea
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dem Kaiser. Die beiden haben zum Besten für Las Huelgas und auch für Euch entschieden.«
    »Es mag das Beste für das Kloster sein, doch seid versichert, dass es nicht das Beste für mich ist«, antwortete sie ungehalten. »Mit welchem Recht zwingt man mich, meinen Orden zu verlassen und mich um andere Nonnen zu kümmern, deren Ordensregeln ich nicht kenne?«
    »Kraft der göttlichen Autoritas, und es steht Euch nicht zu, den Ratschluss Gottes infrage zu stellen.«
    Ihre Klagen fruchteten ebenso wenig wie der Hinweis auf ihr fortgeschrittenes Alter, und zum großen Entsetzen des Prälaten zog sie sogar in Zweifel, dass dieser Entschluss unmittelbar von Gott inspiriert gewesen sei: Der Allmächtige habe sich fraglos um sehr viel wichtigere Angelegenheiten zu kümmern. Der Nuntius blieb unerschütterlich und erinnerte sie an den Gehorsam, den sie als Nonne dem Papst und als Untertanin dem König schulde.
    Bevor sie sich auf den Weg nach Burgos machte, unternahm sie einen letzten Versuch und schrieb an ihren Neffen. Sie bat ihn, die Weisung zurückzunehmen und sie nicht zu zwingen, eine so große Verantwortung zu übernehmen. Ihre Kräfte begännen zu schwinden und sie könne sich nicht mehr an eine fremde Umgebung gewöhnen. Wenige Tage später erhielt sie ein langes, herzliches Schreiben von Karl, in dem er ihr die Gründe darlegte, die ihn zu dieser Entscheidung bewogen hatten. Das Kloster Santa María de Las Huelgas unterstehe der Krone und sei stets von einem Mitglied der königlichen Familie geleitet worden. In letzter Zeit lasse die Verwaltung der Besitzungen sowie die Stimmung unter den Ordensfrauen sehr zu wünschen übrig, sowohl im spirituellen wie im materiellen Sinne. Er wünsche, dass wieder Ordnung und Disziplin in jenem Kloster herrschten, dem bedeutendsten des Landes, und für diese Aufgabe sei niemand besser geeignet als seine geliebte Tante, in die er großes Vertrauen setze.
    Der Brief war freundlich, aber bestimmt. Er ließ ihr keine Wahl, sich dem zu verweigern, was nach allgemeinem Dafürhalten die größte Ehre war, die einer Frau zuteil werden konnte. Aus Gründen, die sie zur Genüge kannte, gab es sonst niemanden, der die Leitung des königlichen Klosters übernehmen konnte. Es gab nichts weiter zu sagen.
    Die beiden Marías nahmen in dem Studierzimmer, das von nun an der jüngeren gehören würde, in aller Stille Abschied voneinander. Beide wussten, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass sie sich irgendwann wieder sahen.
    »Leb wohl, María, Gott segne dich«, sagte die ältere.
    »Gott sei auch mit dir, liebe Schwester«, antwortete die andere mit stockender Stimme.
    María lächelte. Zum ersten Mal in vierzig Jahren sprach die Jüngere sie mit »du« an, und dieses kleine Detail rührte sie.
    »Wir haben den größten Teil unseres Lebens zusammen verbracht, du bist meine einzige Familie gewesen. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich dich nicht gehabt hätte.«
    »Du wärst dieselbe gewesen, die als Kind auf die Bäume kletterte und immer die Arme und Beine voller Schrammen hatte.«
    Sie lachten. Wie lange lagen diese Tage zurück, und doch, wie nah schienen sie!
    Während sich die Kutsche, die sie nach Burgos bringen sollte, immer weiter von Madrigal entfernte, sah María unverwandt zur Puerta de Medina hinüber. Alle Nonnen hatten sie bis dorthin begleitet und winkten zum Abschied. Sie sah, wie die Silhouetten allmählich immer kleiner und durch den Staub, den die Räder der Kutsche aufwirbelten, immer undeutlicher wurden. Noch lange nachdem der letzte Turm der Stadtmauer verschwunden war, blickte sie unverwandt zurück. Es war ein grauer Tag und die kastilischen Felder erschienen ihr traurig und welk.
    Sie bat den Kutscher, in Tordesillas zu halten, und stattete ihrer Schwester, der unglücklichen Prinzessin und Königin, die niemals regiert hatte, einen letzten Besuch ab. Alles war wie immer. Das Einzige, was sich in all den Jahren verändert hatte, waren ihre Dienerinnen und Kerkermeister: Doña Johanna hatte sie alle überlebt. Sie befand sich nach wie vor in einem Zustand völliger Umnachtung, sie war älter und runzliger geworden, doch aus ihren blauen Augen strahlte immer noch die Unschuld des jungen Mädchens, das dazu geboren war, zu lieben und geliebt zu werden. María hielt ihre Hand und es schien ihr, als würde die Verrückte ihr zulächeln. Zumindest wollte sie das glauben.
     
     
    María war nun seit vier Jahren in Las Huelgas und hatte das getan, was man
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