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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin
Autoren: Toti Lezea
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dass sie einen geeigneteren Platz finden würden, an dem man sich in der Zeit, die ihr noch zu leben blieb, um sie kümmerte und ihr die Liebe angedeihen ließ, die man ihr so grausam genommen hatte.

Madrigal, Herbst 1538
     
     
     
    Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen, seit Ferdinand der Katholische gestorben war und María die Gebeine Toda de Larreas gefunden hatte.
    Nicht lange nach jenen Ereignissen war Karl aus Flandern gekommen, um im Namen der Königin die Herrschaft über Kastilien auszuüben. Er ließ sich König nennen, doch im Grunde war er weiterhin der Thronfolger, denn Doña Johanna war am Leben. Zwar wahnsinnig, aber sie lebte und würde bis zu ihrem Tod die rechtmäßige Königin bleiben. Nach dem Tod seines Großvaters Maximilian wurde Karl zum mächtigsten Herrscher der Christenheit. Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich über halb Europa und reichte bis Westindien. Nie hätte sich sein Großvater Ferdinand träumen lassen, dass sein Nachfahre über eine solche Macht verfügen würde.
    Einige Jahre später bekam María Gelegenheit, ihren Neffen kennen zu lernen. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, einmal im Jahr nach Tordesillas zu reisen, wo sie einige Tage im Kloster der Augustinerinnen blieb und ihre Schwester Johanna besuchte. Stundenlang betrachtete sie die unglückliche Königin. Wenn sie die Augen schloss, sah sie das schlanke junge Mädchen von dem Porträt, das lachend und auf der Laute spielend durch die weiten Säle des Schlosses von Medina lief. Sie nahm ihre Hand, und zum Erstaunen ihrer Zofen wehrte Johanna nicht wie sonst die zärtliche Geste ab, die ihr ein wenig Wärme und Liebe vermitteln wollte.
    Eines Tages betrachtete sie von der Klostermauer aus die Landschaft, als sie einen prächtig gekleideten Mann mit einem kleinen Gefolge vornehmer Herren und Damen herannahen sah. Er trug ein weißes, mit Gold und Silber besticktes Wams, dazu passende Beinkleider, und auf dem Kopf ein gleichfalls weißes, ausladendes Samtbarett, an dem zwei Straußenfedern wippten. Er hatte ein angenehmes Gesicht, auch wenn der Kiefer ein wenig zu weit vorstand. Diesen verbarg er unter einem Bart, der ihn älter machte, als er war und den sämtliche seiner Begleiter kopiert hatten.
    »Der Friede sei mit Euch«, grüßte er sie.
    »Und mit Euch, Hoheit«, antwortete sie und neigte leicht den Kopf.
    »Ihr habt mich erkannt?«, fragte er erstaunt und geschmeichelt.
    »Wie sollte ich nicht, Hoheit?«, erwiderte sie, erheitert über seine Naivität. »Euer Antlitz prangt auf allen Münzen und Euer Bildnis hängt allerorten.«
    »Ihr seid keine Klarisse«, sagte Karl mit einem Blick auf ihren schwarzen Habit, der sich von dem weißen des Klarissenordens unterschied.
    »In der Tat, das bin ich nicht. Ich gehöre dem Orden der Augustinerinnen an.«
    »Und dürfen Wir erfahren, was Euch hierher geführt hat?«
    »Ich bin gekommen, um die Königin zu sehen, Euer Hoheit. Ich verbringe jedes Jahr einige Tage in Tordesillas und besuche Eure Mutter.«
    Der junge König runzelte die Stirn. Er hatte die Markgrafen von Denia, die mit der Bewachung der Königin betraut waren, angewiesen, dass kein Fremder Johanna ohne seine Einwilligung sehen dürfe. Er erinnerte sich nicht, einer unbekannten Ordensfrau eine solche Erlaubnis erteilt zu haben.
    »Und wer seid Ihr, dass Ihr Unsere Mutter ohne Unsere Zustimmung besucht?« Sein Ton war arrogant geworden.
    María hob den Kopf – sie war fast so groß wie er – und sah ihm direkt in die Augen.
    »Ich bin Doña María Esperanza de Aragón, Äbtissin des Klosters Nuestra Señora de Gracia in Madrigal und Königin Johannas Schwester väterlicherseits.«
    Karl riss erstaunt die Augen auf, und für einen Moment wurde aus dem König ein junger Bursche, der gerade von einer unerwarteten Nachricht überrascht wird. Auf eine Handbewegung von ihm zogen sich seine Begleiter einige Schritte zurück. María und Karl unterhielten sich lange, während sie durch die Gärten des Klosters wandelten. Der König beherrschte das Kastilische nur ungenügend. Obwohl er alle Macht der Welt hatte, war er doch nur ein junger Mann, der fernab von Kastilien mit anderen Gebräuchen und in einer anderen Sprache erzogen worden war. Er hatte noch nicht seinen Platz bei seinen Untertanen gefunden und sehnte sich nach den Jahren in Flandern zurück, nach der erlesenen, ausgelassenen Atmosphäre am Hof seines Großvaters Maximilian. Er verabschiedete sich mit einem herzlichen »liebe Tante« von ihr,
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