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Die Äbtissin

Die Äbtissin

Titel: Die Äbtissin
Autoren: Toti Lezea
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Holzkästchen an sich und schloss sich in ihrem Schlafzimmer ein.
    Sie wartete über eine Stunde, bis sie es öffnete, und als sie es schließlich tat, zitterten ihr die Hände. Sie hatte geglaubt, dass sie nichts mehr erschüttern könne, doch sie hatte sich getäuscht. Dieses kleine Kästchen und das, was sich darin befand, hatte ihrer Mutter gehört. Sie nahm die Schriftstücke eines nach dem anderen heraus. Das Pergament war mit der Zeit vergilbt und man konnte sehen, wo die Blätter gefaltet gewesen waren, aber sie waren in gutem Zustand. María betrachtete die unregelmäßige, kindliche Schrift, die bewies, dass ihre Mutter zwar schreiben konnte, nicht jedoch die Kunst der Kalligraphie beherrscht hatte. Am Ende jeder Seite befand sich ihre Unterschrift, Toda, ein verschlungener, komplizierter Schnörkel. Sie fuhr mit der Spitze des Mittelfingers über den Namen und schloss die Augen.
    Sie wäre gerne die Einzige gewesen, die diese Blätter las, die ihr die Zeit wiedergebracht hatte, aber weil sie sämtlich in baskischer Sprache verfasst waren, musste sie sich an Pedro wenden. Der Junge übertrug sie ins Kastilische und überreichte sie ihr, ohne etwas dazu zu sagen. Es handelte sich um ein kurzes Liebesgedicht, dessen ungeschickter Reim ihr ein Lächeln abrang, ein kindliches Testament, in dem Toda ihrer besten Freundin, einer gewissen Sancha, ihr Festtagskleid vermachte, eine Liste von Dingen, die sie erledigen wollte, einige bedeutungslose Schriftstücke sowie einen Brief an sie. Die Schrift war sicherer, so als wäre er Jahre später verfasst worden.
     
    Für meine geliebte Tochter María Esperanza…
     
    Sie hielt inne. Die Rührung übermannte sie und ihre Hände zitterten. Sie begann von vorne.
     
    Für meine geliebte Tochter María Esperanza zu ihrem sechsten Geburtstag.
    Ich möchte dir diesen Brief schreiben, damit du weißt, wie viel du mir im Leben bedeutest, wenn du einmal lesen und ihn verstehen kannst. Du hast mir die Freude zurückgebracht, die ich einmal für immer zu verlieren glaubte. Du hast mich überreich für den Kummer entschädigt, den ich empfand, als ich erfuhr, dass ich dich unter dem Herzen trug. Ich wollte sterben und wünschte, du würdest nicht geboren. Verzeih mir, dass ich so etwas gedacht habe. Als ich dein kleines Gesichtchen zum ersten Mal sah, ging mir das Herz über vor Liebe, und seit damals ist diese Liebe immer noch größer geworden. Ich glaube nicht, dass es eine stolzere Mutter gibt als mich. Ich wünsche mir nur, dass du gesund und glücklich heranwächst und das Leben dir gewährt, was es mir verwehrte.
    Deine Mutter Toda.
     
    Fünfundfünfzig Jahre, nachdem sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, sprach ihre Mutter wieder zu ihr. Sie betrachtete das Porträt, das ihre Verwandten aufmerksamerweise in ihrem Zimmer aufgehängt hatten. Während sie Gott dafür dankte, dass sie diese Zeilen in Händen halten durfte, rannen Tränen des Kummers und der Freude über ihr Gesicht.
    Bevor sie nach Madrigal zurückkehrte, besuchte sie das Mausoleum der Larreas. Dort lagen Todas sterbliche Überreste Seite an Seite mit denen ihrer Eltern und Geschwister, und ihr Name war zu den ihren hinzugefügt worden. Sie ruhte friedlich bei den Ihren, und auch María selbst hatte endlich ihren Frieden gefunden.

Epilog
     
     
     
    Das Alter machte María zu schaffen. Bei der geringsten Anstrengung war sie erschöpft, sie fühlte sich alt und müde. Alle ihre Lieben waren tot, mit Ausnahme von María der Jüngeren, die nach wie vor an ihrer Seite war, und Königin Johannas, die sich einer beneidenswerten körperlichen Gesundheit erfreute. María erhoffte sich nichts mehr vom Leben und wartete nur noch darauf, wieder mit ihrer Mutter vereint zu sein.
    Drei Jahre nach Inés’ Tod, es war das Jahr 1541, hatte ein Befehl des Kaisers erneut ihr Leben in Aufruhr gebracht. Ihr Neffe befahl ihr, Nuestra Señora de Gracia zu verlassen und sich nach Las Huelgas de Burgos zu begeben, um dort das Amt der Äbtissin im königlichen Kloster zu übernehmen. Sie traute ihren Augen nicht, als sie das Dekret las, das sie zum Wechsel des Ordens ermächtigte. Es wurde ihr von demselben Nuntius überreicht, der damals das päpstliche Sendschreiben überbracht hatte.
    »Ist denn die ganze Welt verrückt geworden?«, fragte sie aufgebracht.
    »Mäßigt Eure Worte, Doña María Esperanza«, entgegnete der Nuntius. »Ihr sprecht von Seiner Heiligkeit, unserem geliebten Papst, und von unserer erlauchten Hoheit,
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