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1129 - Das Blutmesser

1129 - Das Blutmesser

Titel: 1129 - Das Blutmesser
Autoren: Jason Dark
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Sie konnte sich an einem Stuhl bei einem der Tische vor dem Café in der Einkaufspassage abstützen. Sie drehte sich und setzte sich hin. Die Beine hatten einfach nachgegeben.
    Für eine Weile schloß sie die Augen. Trotzdem sah sie Bilder, die an ihr vorbeizogen. Sie konnte nichts Genaues erkennen, die einzelnen Sequenzen verschwammen wie schlechte Fotomontagen. Aber sie waren mit seltsamen Menschen gefüllt, die ungewöhnliche Kleidung und Kopfbedeckungen trugen. Zudem hielten sie etwas in den Händen, das an lange Stäbe oder Lanzen erinnerte, doch sicher war sich Michelle nicht.
    Die Menschen bildeten eine schwankende Mauer, die gegen sie anrollte, um sie zu überschwemmen. Sie sagten nichts, sie glichen einfach nur stummen Zeugen, die ihren Weg von irgendwoher gefunden hatten.
    »Möchten Sie was bestellen oder schlafen?«
    Eine spöttisch klingende Stimme riß sie aus ihren Gedanken. Michelle öffnete die Augen und war für einen Moment verwirrt, weil sie einen anderen Anblick erwartet hatte. Aber es war der Kellner, der vor ihr stand, ein junger Mann mit dunklen Haaren im Afrolook und sehr brauner Haut. Er trug ein weißes Hemd, eine schwarze Hose und eine helle Schürze.
    Michelle schaffte ein schwaches Lächeln. »Pardon, aber ich bin für einen Moment eingenickt.« Die Worte kamen ihr glatt über die Lippen. »Die Luft hier, die Wärme - Sie verstehen…«
    »Klar, wenn es draußen nieselt und feucht ist, geht es vielen Leuten hier mies.«
    »Da bin ich ja beruhigt.«
    »Ich empfehle Ihnen einen Espresso. Heiß, stark, echt super. Oder ein Glas Prosecco.«
    »Schön.«
    »Was nehmen Sie?«
    »Beides.«
    »Ho, das ist ein Wort, Madam. Da kommen Sie wieder auf Touren und können Bäume ausreißen.«
    »Halme reichen mir schon«, erklärte sie.
    »Okay, ich bringe Ihnen die beiden Aufputscher.« Er lachte und trat durch die offene Glastür in den Raum dahinter mit den weißen Wänden, der schwarzen Theke und den ebenfalls dunklen Tischen und Stühlen, die auf einem hellen Boden standen.
    Michelle Maron ließ sich zurücksinken. Ihr war noch immer warm.
    Schweiß stand auf ihrer Stirn. Sie trug nur den dünnen Mantel und das graue Kostüm mit dem hellen Top darunter. Nein, für die Jahreszeit war sie nicht zu dick angezogen, doch in dieser Passage hatte es sie plötzlich überkommen.
    Hinzu kamen die geheimnisvollen Stimmen dieser ebenfalls geheimnisvollen Wesen. Sie allein waren der Grund allen Übels. Ihretwegen fühlte sich Michelle verfolgt, und sie waren manchmal wie eine Peitsche, und ihretwegen fürchtete sie sich auch vor der Nacht. Tagsüber und bei Dunkelheit hatte sie das Wispern gehört, das böse Ahnungen in ihr hochjagte, aber sie war noch nie so direkt damit konfrontiert worden wie bei diesem Bummel.
    Mit beiden Händen fuhr sie durch ihr braunes Haar, in das sich graue Strähnen hineingestohlen hatten. Dabei war sie gar nicht so alt. Eben mal 35. Doch das Erbe ihrer Mutter ließ sich nicht verleugnen, und sie wollte die Haare auch nicht färben. Michelle war dagegen, der Natur ins Handwerk zu pfuschen. Sie gehörte auch nicht zu den Frauen, die viel Wert auf Schminke legten. Mit Farben ging sie anderweitig um, denn sie war eine Malerin, die es immer wieder schaffte, Bilder zu entwerfen, die auch verkauft wurden. Dabei ging sie nicht einmal auf den Geschmack der Kunden ein. Sie malte, was ihr in den Kopf kam. Blumen, Landschaften, Menschen und Räume. Das alles etwas verfremdet, surrealistisch, überzeichnet und verändert, aber die Bilder kamen an, weil die Motive etwas aussagten.
    Michelle konnte gut von ihrer Arbeit leben, und sie hatte sich in ihrem Haus auch wohl gefühlt - bis vor zwei, drei Wochen. Da war es zu den unheimlichen Vorgängen gekommen. Da hatte sie die Stimmen gehört.
    Dieses Flüstern, diese bösen Versprechungen, die ihr verdammt stark unter die Haut gingen.
    Der Espresso wurde serviert und auch der Prosecco. Der Kellner lächelte wieder breit, als er die beiden Getränke abstellte. »Danach werden Sie sich toll fühlen, Madam, das kann ich Ihnen versprechen.«
    »Danke. Darf ich schon bezahlen?«
    »Wenn Sie wollen.«
    Er tippte die Rechnung in einen kleinen Hand-Computer, der auch den Beleg ausdruckte. Eine Handtasche hatte Michelle nicht mitgenommen.
    Sie trug einen kleinen Rucksack aus Leder, der noch immer auf ihrem Rücken hing und sie auch beim Sitzen nicht störte. Etwas Geld hatte sie in die Tasche ihrer Kostümjacke gesteckt, und sie legte noch ein gutes Trinkgeld
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