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Finsterherz

Finsterherz

Titel: Finsterherz
Autoren: Ravensburger
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seiner nassen Zunge. Mathias blickte sich um; es war niemand zu sehen. Er griff Gustav in den Mund und holte es heraus. Gerade als er es in seine Jackentasche gesteckt hatte, hörte er ein Geräusch hinter sich. Er drehte sich um. In der Tür stand Anna-Maria.

Ein Junge nebst Habseligkeiten
    Mathias wusste nicht, ob Anna-Maria gesehen hatte, was er getan hatte. Rasch nahm er die Hand aus der Tasche.
    »Steh auf«, befahl sie.
    Sie war immer kurz angebunden; ihre Worte ließen einem keine Wahl. Sie erwartete von den Leuten, dass sie gehorchten. Taten sie es nicht, merkten sie ganz schnell, welche Konsequenzen das hatte, und beim nächsten Mal wussten sie dann Bescheid.
    Mathias stand auf, war sich aber immer noch nicht sicher, ob sie beobachtet hatte, wie er das Stück Papier in die Tasche gesteckt hatte. Doch sie sah ihn nicht an. Sie musterte Gustavs Gesicht und seine Jacke.
    »Wer hat das getan?«, wollte sie wissen.
    »Der Mann, der vorhin hier war«, antwortete er.
    In ihrem Gesicht spiegelten sich Habgier und Argwohn. »Hat er etwas gefunden?«
    Mathias schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wonach er gesucht hat«, sagte er. Insgeheim glaubte er es nun aber doch zu wissen.
    Anna-Maria trat ganz nah mit ihrem Gesicht an ihn heran. Er konnte den parfümierten Puder auf ihrer Haut riechen.
    »Wollen wir hoffen, dass du Recht hast«, sagte sie und ihre Stimme hatte einen grausamen Unterton. Sie packte Mathias am Arm und zog ihn über den Marktplatz zum Bühnenwagen. Die langen, schweren Vorhänge waren zugezogen. Die Zuschauer hatten sich zerstreut und die Fackeln waren gelöscht. Mathias roch noch die öligen Rauchfäden in der Luft. Im Dunkeln führte Anna-Maria ihn die Treppe zu Lutsmanns Wagen hinauf. Im Türspalt schimmerte Licht. Anna-Maria öffnete.
    »Mein Täubchen«, begrüßte sie Lutsmann in einem Ton, der schmierig klang und falsch. »Hast du den armen lieben Jungen gefunden?«
    Anna-Maria, die noch vor einer Sekunde an Mathias herumgezerrt und ihn so fest am Arm gepackt hatte, dass es wehgetan hatte, schob ihn jetzt behutsam in den Wagen und fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar, als sei er ihr Ein und Alles.
    »Ich habe ihn beim Leichnam des armen Gustav gefunden«, säuselte sie und blickte betrübt auf Mathias herab. »Das Lämmchen.«
    Doch Mathias schaute sie nicht an. Sein Blick war auf den anderen Mann im Wagen gerichtet, auf seinen Hut und den Gehstock mit dem silbernen Knauf. Er saß gegenüber von Lutsmann an dem kleinen Tisch. Im hellen Licht der Lampe konnte Mathias ihn zum ersten Mal richtig betrachten. Seine Augen blickten kalt aus einem Mondgesicht, dessen Haut schwammig wirkte. In seiner Miene spiegelte sich unverhohlene Verachtung für Lutsmann, als wollte er sagen: Ich glaube kein Wort von dem Theater, das ihr mir da vorspielt.
    »Das ist Dokto r …«
    »Häller«, sagte der Mann.
    »Genau«, sagte Lutsmann, als zweifelte er nun seinerseits daran, dass der Mann tatsächlich so hieß. »Doktor Häller möchte dir ein Angebot machen, Mathias. Ein sehr großzügiges Angebot.«
    Lutsmanns Blick ging zum Tisch. Erst jetzt bemerkte Mathias einen kleinen Lederbeutel neben seiner Hand. Es war nicht schwer zu erraten, was er enthielt.
    »Er braucht einen Gehilfen und hat angeboten, dich zu sich zu nehmen«, und bei diesen Worten legte Lutsmann die Hand auf sein Herz und schüttelte traurig den Kopf, »jetzt, da Gustav nicht mehr ist.«
    »Oh Gustav!«, schluchzte Anna-Maria.
    Sie hob ihr Taschentuch an die Augen, doch Mathias sah, dass sie Doktor Häller hinter dem Spitzentuch hervor so scharf beobachtete, als sei sie eine Katze auf der Pirsch.
    »Die Entscheidung liegt bei dir, Mathias«, sagte Lutsmann. »Der Zirkus ist deine Familie und dein Zuhause.« Er wandte sich an den anderen Mann. »Wir lieben ihn wie unseren eigenen Sohn«, erklärte er. »Aber du musst an deine Zukunft denken, Mathias.«
    Er verkauft mich, dachte Mathias.
    Wieder wanderte sein Blick zu dem dicken Beutel voller Geld. Anna-Maria hatte ihm sacht die Hand auf die Schulter gelegt, und auch wenn man dies fälschlicherweise für eine freundliche Geste hätte halten können, wusste Mathias ganz genau, was sie bedeutete: Halt den Mund und sag kein Wort.
    Er stand da und blickte von Lutsmanns gierigem Gesicht zu den kalten Augen von Doktor Häller hinüber. Seine Nase tat immer noch weh von dem Schlag, den der Doktor ihm verpasst hatte.
    »Seht Ihr!«, tönte Lutsmann großspurig. »Der Junge ist sprachlos vor
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