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Finnisches Blut

Finnisches Blut

Titel: Finnisches Blut
Autoren: Taavi Soininvaara
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dem Computer eintragen müssen. Alle wesentlichen Informationen mußten als Originaldatei in den Räumen der EELA verbleiben, sie durften nicht aus der Forschungsanstalt hinausgebracht werden. Sogar das Kopieren von Dateien war nur in sehr begrenztem Maße möglich. Ratamo hatte die Zusammensetzung des Gegenmittels nur in sein Heft mit kariertem Papier geschrieben und war so erschöpft, daß er sich einfach nicht imstande sah, die Anforderungen der Bürokratie zu erfüllen. Das würde er später sofort nachholen, wenn er im Laufe des Tages wieder ins Institut käme. Er schrieb aber schnell noch eine Nachricht für die Forschungsgruppe:
    »GEGENMITTEL GEFUNDEN! ARTO.«
    Ein Luftstrom rauschte um ihn herum, als er hastig durch die Stahltür die Räume der zweiten Sicherheitsstufe betrat. Beim Öffnen der Türen zwischen den Abteilungen saugte der Unterdruck die Luft aus der Abteilung mit der niedrigeren Sicherheitsstufe in die der höheren Stufe und verhinderte so das Austreten möglicherweise verseuchter Luft.
    Ratamo lief mit langen Schritten über den Hauptflur der zweiten Sicherheitsstufe, die für die Untersuchung von Krankheiten mittlerer Ansteckungsgefahr bestimmt war. Er ging |16| wieder durch eine hermetische Tür und ein UV-Lichtbad und betrat die Abteilung der ersten Sicherheitsstufe. Dort erforschte man Krankheiten mit geringem Ansteckungsrisiko, deshalb waren die Sicherheitsbestimmungen hier schon bedeutend lockerer.
    In der Garderobe zog er den Operationsanzug aus und schlüpfte in seine Zivilsachen, dann verließ er das Laborgebäude und brachte seine Notizen in sein Arbeitszimmer im Hauptgebäude der EELA.
    Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, als er zu seinem Auto ging. Er dachte an die Meteorologen, die schon die ganze Woche besseres Wetter versprochen hatten. Wie angenehm wäre doch so eine Arbeit, bei der man sich irren durfte. Bei Ebola-Helsinki konnte man sich keine Irrtümer leisten. Und es half nicht, wenn man sich etwas vormachte und glaubte, das Virus stelle nun keine Gefahr mehr dar, weil ein Gegenmittel gefunden war. Das Mittel wirkte nur während der Inkubationszeit, in der keine Symptome auftraten. Würde Ebola-Helsinki in dieser Zeit freigesetzt, dann könnte es sich über den Flugverkehr in der ganzen Welt ausbreiten. Wenn der erste Infizierte schließlich erkrankte und die Epidemie entdeckt wurde, wäre es für die Behörden unmöglich, alle Infizierten zu finden. Nur einem Bruchteil der Virusträger könnte das Gegenmittel rechtzeitig vor Ausbruch der Krankheit gegeben werden. Dennoch fühlte sich Ratamo ruhig und ausgeglichen. Er hatte kein Ungeheuer geschaffen, sondern ein Mittel dagegen entwickelt.
    Ratamo setzte sich in seinen Käfer, Baujahr 1972 mit Schiebedach, steckte sich einen Priem unter die Oberlippe und startete sein getreues Gefährt. Die nächtliche Fahrt durch die leeren Straßen Helsinkis bis nach Hause zur Kapteeninkatu in Ullanlinna dauerte in dem heftigen Regen lange. Er spürte, wie |17| die Müdigkeit kam, und genoß die Vorfreude, bald gut und lange schlafen zu können.
    Nachdem er seinen Wagen auf dem Innenhof des Hauses geparkt hatte, fuhr er mit dem Aufzug in die erste Etage. Im Flur zog er sich so leise wie möglich aus, um seine Tochter und seine Frau nicht zu wecken, und schlich dann auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer. Im Dämmerlicht der Nachttischlampe mit einem Mumin-Motiv gab er Nelli einen Kuß und berührte dabei nur ganz leicht ihre weiche Wange.

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    Raimo Siren, der Chef des Operativen Stabes im Generalstab der Streitkräfte, legte in seinem Büro in Kaartinkaupunki langsam den Hörer auf. Seine Uniformjacke hing auf der Stuhllehne, und die Hemdsärmel waren hochgekrempelt. In seinem angespannten Gesicht zuckte es, als er sich mit zitternder Hand Kognak eingoß und den ersten Schluck an diesem Morgen nahm. Es brannte im Magen.
    Der Leiter der Abteilung Polizei im Innenministerium hatte Siren eben gebeten, zum Verhör bei der Kriminalpolizei zu erscheinen. Sie waren gute Bekannte und gehörten zur selben Freimaurerloge, deshalb hatte er Siren die unangenehme Nachricht selbst mitteilen wollen. Die Augenzeugen hatten das Auto und dessen Nummer am Unfallort gesehen. Um zu erreichen, daß sein Verhör auf einen Tag nach dem Wochenende verschoben wurde, hatte Siren all seine Überredungskünste aufbieten müssen.
    Er fluchte, weil er es nicht geschafft hatte, die Augenzeugen aufzutreiben, bevor sie den Behörden und den Eltern des Mädchens berichten
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