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Finnisches Blut

Finnisches Blut

Titel: Finnisches Blut
Autoren: Taavi Soininvaara
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konnten, was sie wußten. Nun brauchte er gar nicht erst zu versuchen, die Zeugen zu bestechen. Selbst mit seinen Beziehungen würde es nicht mehr gelingen, die polizeilichen Ermittlungen aufzuhalten. Dafür würden mit Sicherheit die Eltern des gestorbenen Mädchens sorgen. Sein Leben würde schon bald zerstört sein.
    |19| Siren hielt sich für einen der wichtigsten Offiziere der Streitkräfte. Er leitete deren geheimsten Teil, den Operativen Stab. Neben den Abteilungen für internationale Beziehungen und für Informationstechnik, der Operativen Abteilung, der Planungs- und der Untersuchungsabteilung gehörten zu ihm auch die beiden Nachrichtendienste der Streitkräfte, die Aufklärungsabteilung und die Sicherheitsabteilung. Letztere war für die Gegenspionage gegen die Aktivitäten fremder Nachrichtendienste in Finnland zuständig. Diese beiden Einheiten wurden im Generalstab auch als »Schlapphutabteilungen« bezeichnet. Sie befanden sich in den gleichen Räumen auf einem abgeschlossenen und genau überwachten Flur im dritten, dem obersten überirdischen Stockwerk des Generalstabs. Ihre Mitarbeiter sprachen sich nicht mit dem militärischen Rang an und durften bei der Arbeit Zivilkleidung tragen.
    Die Aufklärungsabteilung, Sirens liebstes Kind, war für die militärische Auslandsaufklärung Finnlands verantwortlich. Trotz ihrer geringen Größe hatte sie international einen guten Ruf. Wie die militärischen Aufklärungsdienste der anderen westlichen Länder verfügte sie in Krisensituationen über äußerst weitreichende Befugnisse. Um Aktivitäten zu verhindern, die eine Gefahr für die Sicherheit des Landes darstellten, führte sie Operationen unterschiedlicher Art durch, manchmal auch bewaffnete. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hatte man es hier mit Erfolg erreicht, daß die Aufklärungsabteilung für die Öffentlichkeit fast gänzlich unbemerkt blieb. Der überwiegende Teil der Finnen hatte von ihr oder ihren Leistungen nie etwas gehört. Nur wenige wußten, daß sie überhaupt existierte, obwohl die Streitkräfte sie im offiziellen Schema ihrer Organisationsstruktur vorstellten.
    Siren warf einen Blick auf die gegenüberliegende Wand, an |20| der in drei Reihen die Fotos seiner Vorgänger hingen. Es schien so, als würden ihn die Offiziere mit vorwurfsvollem Blick aus dem Jenseits anklagen. Das Bild eines entlassenen, zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Generals würde man nicht an die Wand hängen.
    In seiner Bedrängnis dachte er wieder zurück an die Jahre in der Schlapphutabteilung. Er hatte als Aufklärer von der Pike auf gedient. Nach der Kadettenschule hatte er sich sofort für die Aufklärungsabteilung beworben. Der durchtrainierte junge Mann mit scharfem Verstand entwickelte sich schnell zum besten Agenten seiner Einheit, dem viele Einsätze in der Praxis übertragen wurden. Im Laufe der Jahre hatte er unterschiedliche Aufgaben auch in anderen Abteilungen erhalten und war dann 1996 im reifen Alter zum Generalmajor und Chef des Operativen Stabes befördert worden.
    Die Arbeit in der Schlapphutabteilung hatte sich in den Jahren seiner Dienstzeit grundlegend geändert. Während der Amtszeit von Präsident Kekkonen durfte vor allem die Aufklärungsabteilung, von bestimmten Einschränkungen in bezug auf die Sowjetunion abgesehen, völlig ungehindert agieren. Später war durch mehr Offenheit im öffentlichen Sektor und durch die zunehmende Kontrolle die Handlungsfreiheit etwas eingeschränkt worden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wirkten die neuen Bedrohungen auf die Aufklärungsabteilung wie eine Spritze mit einem Anregungsmittel. Man war der Auffassung, daß es sich lohnte, die Aktivitäten der neuen Aufklärungsdienste Rußlands genau zu beobachten, und außerdem wurde die Überwachung der kriminellen Organisationen, deren Zahl explosionsartig anstieg, und der Waffenhändler intensiviert.
    Siren erhob sich und zog die Gardinen auf. Sein in dunklen Farbtönen eingerichtetes Zimmer wirkte immer düster. Das |21| Licht flutete herein und munterte den verkaterten Mann etwas auf.
    Die Schuld nagte wie eine Fräsmaschine an dem General, der in einem strenggläubigen laestadianischen Zuhause aufgewachsen war. Die sechzehnjährige Gymnasiastin, die er überfahren hatte, war an ihren Verletzungen gestorben. Siren hatte vorher noch nie irgend jemandem Schaden zugefügt, außer bei dienstlichen Aufträgen, doch da war er dazu gezwungen gewesen. Er versuchte sich vorzustellen, welchen Schmerz
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