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Finnisches Blut

Finnisches Blut

Titel: Finnisches Blut
Autoren: Taavi Soininvaara
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Körper der Frau vor sich und machte seine Entscheidung rückgängig.

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    In dem Raum ohne Klimaanlage war es heiß, obwohl die Fenster sperrangelweit offenstanden. Sirens Stirn lag in Falten, und Schweißtropfen rollten über seine Schläfen, als er den Stift auf den Schreibtisch fallen ließ. Nach Mannerahos Anruf hatte er ungestört über zwei Stunden an seinem Plan gearbeitet. Seiner Sekretärin hatte er mitgeteilt, sie dürfe sich nur bei ihm melden, wenn die Ausrufung des Notstands drohte oder seine Frau anrief, was für ihn praktisch das gleiche war.
    Siren glaubte Reettas monotone Stimme zu hören. Das ewige Gemecker seiner Frau war für ihn ein vertrautes Hintergrundgeräusch, so wie für den Fischer das Meeresrauschen. Als zwanzigjähriger Kadett hatte Siren die einzige Tochter eines geachteten Jägergenerals geheiratet. Die Liebe der Frischverheirateten war vor langer Zeit gestorben. Obwohl die Ehe unglücklich war, hatte er seine Laufbahn nicht durch eine Scheidung gefährden wollen, solange der Schwiegervater noch lebte. Teure Hobbys und ihre Vorliebe für Bälle und andere Festlichkeiten der höheren Gesellschaftsschichten hatten Reetta daran gehindert, ihren Mann zu verlassen. Nach dem Tod seines Schwiegervaters war Siren in seiner Ehe schon so abgestumpft, daß er nicht all das durchmachen wollte, was mit einem Scheidungsprozeß verbunden wäre. In der erzkonservativen Welt des Militärs hätte er außerdem zu Repräsentationszwecken eine neue Ehefrau gebraucht.
    |40| Siren hob langsam das Glas mit Kognak der Marke Hennessy XO an die Lippen. Das starke Aroma brannte in der Nase. Es fiel ihm immer noch schwer, zu begreifen, in was für eine totale Sackgasse er geraten war. Er wußte ganz genau, was geschehen würde, wenn er nicht selbst die Zügel in die Hand nähme. Beim Prozeß würden die Augenzeugen bestätigen, daß sie gesehen hatten, wie sein Prelude das Mädchen überfahren hatte, und Reetta würde von der Beule am Auto erzählen. Der Staatsanwalt würde Mikroskopaufnahmen vorlegen, die bewiesen, daß sein Auto mit dem Fahrrad zusammengestoßen war. Vielleicht gelänge es der Polizei, die Person ausfindig zu machen, die bei dem Abendessen mit ihm zusammengesessen hatte, und dann würde das Gericht erfahren, daß er stark angetrunken gewesen war. Die Liste seiner Vergehen wäre so lang wie der Gürtel eines Sumo-Ringers. Weswegen würde man ihn verurteilen? Auf jeden Fall, so vermutete Siren, wegen fahrlässiger Tötung, unterlassener Hilfeleistung, Trunkenheit am Steuer und Fahrerflucht.
    Dazu kam noch, daß eine Gefängnisstrafe finanziell verheerende Folgen hätte. Reettas Bekleidungsgeschäft war in den Zeiten der Krise an den Rand des Konkurses geraten. Er hatte für die Kredite des Ladens gebürgt und mußte seitdem mit seinem eigenen Geld gewährleisten, daß die Boutique ihre Kredite abzahlen konnte. Ohne seine Unterstützung und ohne seine ständige Kontrolle würde Reetta ihr Geschäft in kürzester Zeit in den Konkurs treiben. Dann müßten die Kredite zurückgezahlt werden, und da er für sie gebürgt hatte, bedeutete das einen gerichtlichen Vergleich oder seinen persönlichen Konkurs.
    Für Siren hatte es schon so ausgesehen, als könnte er einen Prozeß wegen des Unfalls nicht abwenden. Doch dann kam Mannerahos Anruf, wie auf Bestellung. Jemand anders hätte |41| das vielleicht für ein Geschenk des Schicksals gehalten, aber Siren glaubte nicht an das Schicksal. Als er von dem Gegenmittel hörte, hatte er sofort begriffen, daß ihm auf dem silbernen Tablett eine Lösung serviert wurde. Jeder Gangsterstaat und jede Terroristenbande würde Ebola-Helsinki und das Gegenmittel haben wollen. Das Gegenmittel machte das Virus zu einem idealen Erpressungsinstrument. Das Versprechen, die mit Ebola infizierten Menschen zu heilen, war eine ganz andere Sache, als einem Staat mit dem Virus zu drohen. Und wer das Gegenmittel besaß, würde nie seine eigenen Leute durch das Virus verlieren.
    Um sich zu retten, wurden von dem Generalmajor Dinge verlangt, die zu tun er sich nie hätte vorstellen können. Die Entscheidung, das in Angriff zu nehmen, war die schwerste in seinem ganzen Leben. Er war immer wahrhaft stolz darauf gewesen, ein General der weißen finnischen Armee zu sein. Und er fühlte sich zur Elite der Militärs dieser Welt zugehörig. Wären Alternativen in Sicht gewesen, dann hätte er alles dafür getan, seine Offiziersehre mit redlichen Mitteln zu bewahren, doch es gab keine
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