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Finnisches Blut

Finnisches Blut

Titel: Finnisches Blut
Autoren: Taavi Soininvaara
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die Überheblichkeit sein Panzer war. Die Meinung anderer schien Ratamo jedoch gleichgültig zu sein.
    »Einigermaßen«, antwortete Liisa. »Warum mußt du Manneraho immer die Stirn bieten, der Mann ist doch so nett. Glaub mir, du gehst am besten sofort zu ihm.«
    »Dazu habe ich aber nicht besonders viel Lust. Vermutlich habe ich gestern gegen so viele Regeln verstoßen, daß der Alte bestimmt stinksauer ist.«
    Liisa saß da und betrachtete Ratamos von braunen Jeans bedeckten Hintern und das breite Kreuz, auf dem sich das blaue Hemd an den Schulterblättern spannte. Sie drehte den Bleistift zwischen Zeigefinger und Daumen und überlegte, warum sie sich so stark zu Ratamo hingezogen fühlte. Der Mann war physisch genau nach ihrem Geschmack: groß, schlank und auf geschmeidige Weise muskulös. Das kurzgeschnittene schwarze Haar betonte sein kantiges Gesicht genau wie die pechschwarzen, dichten Augenbrauen. Auch die drei Zentimeter lange Narbe auf Ratamos linkem Backenknochen faszinierte Liisa. Ratamo trug keinen Bart, sein Kinn schien aber immer mit Bartstoppeln bedeckt zu sein. Ihrer Meinung nach sah er aus wie ein gebildeter Räuberhauptmann. Sie hatte Ratamo nie etwas von ihren Empfindungen gesagt, konnte aber nichts dagegen tun, daß sie sich insgeheim – an manchen Tagen mehr, an anderen weniger – wünschte, er käme auf den freien Markt. Zur Ehebrecherin wollte sie nicht werden, obwohl sie Gerüchte gehört hatte, wonach Ratamos Ehe nicht zu den allerglücklichsten gehörte. Sie seufzte, stand auf und ging lustlos an ihre Arbeit.
    Ratamo brauchte nicht lange vor Mannerahos Zimmer zu stehen, denn der erwartete ihn schon auf dem Flur. Der Professor |31| war Anfang Sechzig, hatte graues Haar und ein gerötetes Gesicht und als Folge seines Dolce Vita etwas Übergewicht.
    »Rein mit dir, Ratamo, und zwar ein bißchen plötzlich! Was zum Teufel hast du angestellt? Die Arbeitsgruppe hat heute morgen die drei Affen im Labor der vierten Stufe getestet. Sie waren clean. Und auf dem Computer im Versammlungsraum steht, daß du ein wirksames Gegenmittel gefunden hast. Und dann kommst du um eins zur Arbeit. Hast du den Verstand verloren!« Manneraho schnaufte in seinem tadellos sitzenden italienischen Anzug aus Wollstoff. Sein Gesicht war so rot wie ein gekochter Krebs.
    »Immer ruhig Blut bewahren. Alles ist in Ordnung«, sagte Ratamo betont gelassen und setzte sich hin. In dem Raum roch es so stark nach Rasierwasser, daß er am liebsten das Fenster geöffnet hätte.
    Seiner Meinung nach war Manneraho dank seiner sozialen Fähigkeiten in ein wesentlich höheres Amt aufgestiegen, als es durch seine wissenschaftlichen Leistungen gerechtfertigt gewesen wäre. Der Professor war total von der Arbeit und den Ergebnissen der jungen, talentierten Forscher abhängig und nutzte sie ungeniert aus. An sich überraschte das Ratamo nicht. Er hielt das gegenwärtige Finnland für eine Durchschnittsgesellschaft, die aus Durchschnittsmenschen bestand, und die bevorzugten immer ihresgleichen. Verschiedenartigkeit und Individualität waren in der Welt des Durchschnitts verboten. Ratamo wußte, er hätte diese Abneigungen gegen Manneraho nicht haben dürfen, der Mann war doch schließlich nur auf dem normalen Dienstweg aufgestiegen, aber er konnte eben nicht aus seiner Haut.
    Er machte es sich auf dem Sofa bequem und erzählte seinem |32| Chef, er sei letzte Nacht um halb vier so fix und fertig gewesen, daß er es einfach nicht mehr geschafft hatte, einen Bericht zu schreiben. Er habe ihn aber gerade eben angefangen. Ratamo tat nicht einmal so, als wäre er besorgt, sein Vorgesetzter könnte wütend werden.
    Manneraho schien sich ein wenig zu beruhigen.
    »Was hast du gefunden? Was ist gestern passiert? Erzähle jetzt endlich alles.«
    Ein Anflug von einem Lächeln erschien auf Ratamos Gesicht. In der Forschungsanstalt war etwas Wesentliches passiert, und der Herr Professor kannte nicht alle Einzelheiten. Um jedoch den wissenschaftlichen Durchbruch für sich selbst nutzen zu können, mußte Manneraho im Bilde sein.
    »Na ja, das ist an sich eine ziemlich lange Geschichte. Ich muß mir erst einen Kaffee holen, bevor ich nicht ein, zwei Tassen getrunken habe, kommt mein Motor nicht richtig in Gang«, sagte Ratamo.
    Er holte sich einen großen Topf Kaffee schwarz, setzte sich bequem aufs Sofa und erzählte ausführlich, was in der zurückliegenden Nacht geschehen war.
    Manneraho hörte sich den Bericht von Anfang bis Ende an. Er saß auf
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