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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor
Autoren: Myriane Angelowski
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ich.
    Ich weiß.
    Um kurz vor vier parkte sie ihren Wagen am Surferstrand in Sahlenburg, ging den Rest des Weges zu Fuß und postierte sich unweit des Gedenksteins hinter hoch aufgeschossenem Schilf. Egal von welcher Seite Dallinger kam, sie hatte alles im Blick und ihren Plan im Kopf. Trotzdem lief ihr Puls gerade Amok. Ganz ruhig. Er weiß nicht, wie aufgeregt du bist. Konzentrier dich auf deine Atmung. Es half, sie wurde ruhiger. Phyllis Dieckmanns war bereit.
    Dallinger ließ sie warten.
    Phyllis blieb wachsam, rührte sich nicht. Auch als es fünf Uhr wurde, verließ sie ihren Posten nicht. Sie wusste, dass er in der Nähe war. Wahrscheinlich rechnete er mit ihrer Ungeduld, mit irgendeinem Anhaltspunkt. Phyllis bot ihm keinen.
    Ein Gänsepaar kündigte ihn schließlich an. Unvermittelt stoben sie aufgeregt über das stehende Gewässer. Kurz danach hörte Phyllis ein leises Knacken.
    Sofort hatte sie den Zeigefinger am Abzug.
    Sie sah Dallinger kommen. Rückwärts bewegte er sich auf sie zu, er fixierte den Wald vor sich – an der Uferseite vermutete er offenbar keine Gefahr. Das war ihre Chance. Phyllis hielt die Luft an, sprang mit der Waffe im Anschlag auf die Füße.
    »Stehen bleiben oder ich erschieße dich an Ort und Stelle!«
    Dallinger drehte sich um.
    Phyllis zögerte keine Sekunde, zielte haarscharf an Dallinger vorbei. Mach ihm sofort klar, wie der Hase läuft. Unmissverständlich. Der Schuss brach die Stille, hallte im Wernerwald wider. Vögel erhoben sich kreischend. Dallinger zuckte, jaulte auf und starrte Phyllis aus hasserfüllten Augen an.
    »Das nächste Mal schieße ich nicht daneben«, rief Phyllis. Zeig keine Schwäche, keine Angst . »Es ist mir egal, wenn der halbe Campingplatz zusammenläuft! Es interessiert mich nicht, ob ich verhaftet werde. Das nimmt mir jede Hemmung! Verstanden?«
    Dallinger stand wie versteinert.
    »Dreh dich um«, befahl Phyllis. »Wir machen einen Spaziergang.«
     
    Dallinger stolperte niesend den Waldweg entlang. Phyllis hielt gebührenden Abstand, lenkte ihn mit knappen Befehlen zur ehemaligen Blockhütte seiner Eltern. Als sich die Silhouette des Hauses aus der Morgendämmerung schälte, blieb Dallinger stehen.
    »Was soll der Mist?«
    »Geh die Stufen rauf!«
    Er warf einen Blick über seine Schulter.
    Phyllis zielte mit der Waffe auf seinen Kopf. Jetzt begann der heikelste Teil ihres Planes. Sie durfte sich keinen Fehler erlauben. Die kleinste Schwäche, das minimalste Zögern konnte verheerende Folgen haben. Du machst das gut. Sei dominant . »Ich werde wieder schießen, und diesmal jage ich dir eine Kugel in den Schädel! Ins Haus mit dir, los!«
    Er gehorchte, nahm die drei Stufen, gab der Tür einen Stoß, betrat das Holzhaus, gefolgt von Phyllis.
    Drinnen blieb Dallinger unschlüssig stehen, traute sich offenbar nicht, sich umzudrehen.
    Phyllis schielte zu der roten Trekkingflasche, die sie direkt an der Tür platziert hatte, und griff nach ihr, ohne Dallinger aus den Augen zu lassen.
    »Dreh dich um!«, befahl sie, ihre Stimme zitterte leicht. Verdammt. Zeig keine Schwäche.
    Er befolgte ihre Anweisung sofort, zog dabei die Nase hoch. Phyllis warf ihm die Flasche zu, er fing sie reflexartig auf.
    Sofort war sie wieder mit beiden Händen an der Waffe. »Trink!«
    Er reagierte nicht.
    Sie feuerte wieder. Der Schuss krachte hinter Dallinger in die hölzerne Außenwand.
    Der Gefangene taumelte, atmete hektisch. »Verdammte Scheiße!«
    »Trink jetzt!«
    Er setzte die Flasche an, stürzte die Flüssigkeit in seinen Mund, ein Teil lief ihm am Hals herunter.
    »Öffne die Kellertür!« Das machst du sehr gut. Knappe Befehle.
    Er ließ die Flasche fallen. »Ich gehe da nicht runter. Was soll denn die Scheiße?«
    »Ich diskutiere nicht mit dir!«, zischte Phyllis. Gut so. Bleib bei der Deutlichkeit und bei dieser Betonung. »Beim nächsten Mal schieße ich dir direkt ins Gesicht.« Oh Gott, das könnte ich nicht. Hoffentlich gehorcht er. »Und jetzt öffnest du gefälligst die Tür zum Keller, drehst das Licht an und gehst hinunter!«
    Ronald Dallinger ließ sich Zeit, hustete, stieg dann aber die Steintreppe hinab.
    Großartig. Er traut sich nicht, sich zu widersetzen. Die Angst überwiegt.
    Phyllis blieb oben auf dem Absatz stehen und zielte mit der Waffe auf ihn. »Zieh dich aus!«
    »Was? Hier ist es scheißkalt! Ich hab jetzt schon Schnupfen und –«
    »Die Kinder haben auch gefroren! Los, zieh dich aus, verdammt noch mal!«
    Dallinger gehorchte,
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