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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor
Autoren: Myriane Angelowski
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Normas Lieblingsfigur aus »Desperate Housewives«, nachmachen konnte. Eigentlich eine Sache für das »Supertalent«, Norma hatte tatsächlich mit der Anmeldung zu der Castingshow geliebäugelt. Da tummelten sich weitaus untalentiertere Kinder. Kitty konnte es weit bringen, vielmehr hätte sie es weit bringen können, wenn sie sich nicht entschieden hätte, mit den anderen gemeinsame Sache zu machen.
    »Norma! Ich weiß, dass du da bist. Lass mich bitte rein.«
    Kitty traf die Stimme ihrer Mutter gut, aber nicht gut genug. Vor ein paar Stunden hatte Norma die Bande überlistet, ihnen Schokopudding in Aussicht gestellt, sie damit aus dem Schlafzimmer gelockt. Wie Unschuldslämmer hatten sie sich um den Esstisch versammelt, sie aus großen Augen taxiert, anfangs jeden ihrer Schritte argwöhnisch beobachtet.
    Norma hatte auf Zeit gespielt, jede noch so kleine Handlung ausgedehnt. Eine Schüssel gesucht, Eier aufgeschlagen, Eiweiß gequirlt, Milch aufgesetzt und alles mit Zucker verrührt. Die Taktik war aufgegangen. Claire und die anderen verloren das Interesse, begannen, untereinander zu reden, sich abzulenken.
    In einem unbeobachteten Moment hatte Norma den Schneebesen behutsam auf die Anrichte gelegt, Jason gegriffen und sich mit ihm hier im Schlafzimmer eingeschlossen.
    Ausgetrickst. Sie war eben doch klüger als die Bagage.
    Hier konnte sie ewig ausharren. Hipp-Gläschen, einige Milchkartons, drei Pralinenschachteln und zehn Packungen Butterkekse hortete sie seit Wochen im Kleiderschrank. Heute lobte sie sich für ihre Weitsicht.
    »Ich schlag die Tür ein!«
    Norma drückte Jasons weichen Körper an sich.
    Regentropfen klatschten gegen die Fenster. Das Gewitter beruhigte sich. Sie wiegte den Kleinen im Arm, sein Lieblingsbuch auf den Knien, und blätterte zur zweiten Seite. »›Der große Bär brachte den kleinen Bären ins Bett, dort wo die Bärenhöhle am dunkelsten ist …‹«
    Du tust mir weh, kreischte Jason auf einmal.
    Norma schreckte auf, seine Stimme klang merkwürdig verzerrt. »Was hast du denn?« Sie nahm ihren Liebling hoch, schenkte ihm all ihre Aufmerksamkeit.
    Du bist böse, stieß Jason hervor.
    Norma glaubte sich verhört zu haben.
    Böse. Böse. Böse.
    »Ich höre dich! Kind!«
    Sie forschte in Jasons Gesicht, sah ihn liebevoll an. »Nein, ich liebe dich. Wirklich.«
    Du sperrst uns hier ein, mich und die anderen. Und du hast Ivo qualvoll sterben lassen.
    »Ivo?«, flüsterte Norma. »Nein, das stimmt nicht.«
    Wo ist Ivo denn? Zeig ihn mir.
    Normas Mund wurde trocken. Jasons Gesichtchen glich auf einmal Claires. Er roch wie Claire. Norma traute ihren Augen nicht. Jason war Claire. Sein einstmals speckiges, liebes Gesicht verzog sich zu einer hässlichen Fratze. Du entkommst uns nicht. Niemals.
    Wer hatte hier wen ausgetrickst?
    Norma warf Claire zu Boden. Drückte sich in die Ecke und zog die Steppdecke bis zum Kinn hoch. Mit angewinkelten Beinen schlug sie ihren Hinterkopf gegen das Bettgestell. Zuerst leicht, dann fester. Schlag auf Schlag.
    Norma spürte keinen Schmerz.
    Claires kleine Hände umklammerten den Bettpfosten. Sie zog sich hoch. Schon erschien ihre Fratze. Blutunterlaufene Augen fanden Normas Blick.
    Spring aus dem Fenster. So kannst du entkommen. Einen anderen Ausweg gibt es nicht. Du hast Ivo im Stich gelassen. Zweimal.
    Norma schrie, schüttelte den Kopf.
    Poltern in der Diele.
    Sie kommen.
    Klopfgeräusche an der Tür. Dumpfe Schläge. Wie ein Rammbock. Laut. Im Takt. Ohrenbetäubend.
    Sie kommen dich holen. Gnade dir Gott, wenn sie dich erwischen.
    Norma drückte ihre speckigen Hände auf die Ohren. Ruhe. Sie sehnte sich so sehr danach. Stille. Für immer. Für immer und ewig, vereint mit Ivo.
    Ihre Bewegungen waren automatisch. Ihr Geist steuerte nichts. Mechanisch erhob sie sich, setzte schwerfällig einen Fuß vor den anderen in Richtung Fenster.
    Bye, bye, Norma. Claire sang die Worte. Geflüstert, heiser, hoffnungsvoll und irgendwie heiter.
    Norma öffnete das Fenster weit. Feuchte Kühle strömte ins Zimmer.
    Holz splitterte.
    Mit Hilfe eines Stuhls kletterte sie keuchend auf die kalte Fensterbank. Eisig legte sich die Nachtluft um Normas Füße. Claires Lachen drang dumpf an ihr Ohr. Es übertönte Lärm und Rufe.
    Bye, bye .
    Normas Nachthemd blähte sich im Wind leicht auf wie ein Segel, als sie sich abstieß und in die Tiefe sprang.

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