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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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Fingern
hindurchzufahren, als gelte es einen Wettstreit zu gewinnen, wer dem Gestrüpp
zumindest ansatzweise so etwas wie Disziplin beizubringen vermochte. Bis jetzt
hatte noch keine gewonnen, wofür Jacop seinem Schöpfer laut dankte und ein ums
andere Mal für reichlich Unordnung auf der Kopfhaut sorgte. Das Interesse war
entsprechend unvermindert groß, und wer sich einmal in der roten Hecke
verfangen hatte, lief Gefahr, im hellblauen Wasser seiner Augen endgültig allen
Boden unter den Füßen zu verlieren.
    Heute allerdings, angeknurrt von seinem Magen, zog Jacop es vor,
sich mit einem alten Fetzen zu bedecken, der nicht mal in seinen besten Zeiten
den Namen Kapuze verdient hatte, und den Wunsch nach weiblicher Gesellschaft
hintanzustellen. Kurzfristig wenigstens.
    Der Geruch teuren holländischen Käses stieg ihm in die Nase. Schnell
drängte er sich zwischen den geschäftigen Ständen hindurch und versuchte, ihn
zu ignorieren. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Mittagssonne die
oberste Schicht des Anschnitts schmolz, so dass sie von einem fetten Glanz
überzogen war. Welcher Teufel auch immer den Duft geradewegs zu ihm
herüberlenkte, auf dem Käsemarkt war augenblicklich zu viel los für einen
schnellen Griff.
    Der Gemüsemarkt gegenüber bot da schon bessere Möglichkeiten.
Überhaupt war die nördliche Seite des Forum Fenn geeigneter, ohne Geld
einzukaufen, weil sich hier die unterschiedlichsten Fluchtmöglichkeiten
auftaten. Man konnte zwischen den Haufen der Kohlenhändler und dem Salzmarkt,
wo das Forum in die Passage zum Alter Markt mündete, in tausend Gassen
verschwinden, etwa zwischen den Häusern der Hosenmacher und der Brothalle
hindurch, dann hoch zu den Hühnerständen und in die Judengasse. Andere
Möglichkeiten boten sich zum Rhein hin. Die Salzgasse oder besser noch die
Lintgasse, wo sie draußen Körbe und Seile aus Lindenbast flochten und die
Fischverkäufer vor der Ecke Buttermarkt ihre offenen Buden hatten. Weiter zum
Ufer hin lagen die Salmenbänke. Hier, im Schatten der mächtigen Klosterkirche
Groß St. Martin, begann der eigentliche Fischmarkt und Köln nach Hering, Wels
und Aal zu stinken, so dass die Verfolger spätestens an dieser Stelle
umkehrten, die ehrwürdigen Brüder der Martinskirche arg bedauerten und Gott den
Herrn gnädig priesen, dass sie ihre Waren nicht am Rheinufer feilbieten
mussten.
    Aber Jacop wollte keinen Fisch. Er hasste den Geruch, den Anblick,
einfach alles daran. Nur Lebensgefahr konnte ihn so weit bringen, über den
Fischmarkt zu laufen.
    Er drängte sich zwischen Gruppen
schnatternder Mägde und Schwestern von der heiligen Jungfrau hindurch, die
lautstark um die Kürbispreise feilschten, übertönt vom melodischen Lärm der
Ausrufer, rempelte einen reichgekleideten Kaufmann an und stolperte, Entschuldigungen
brabbelnd, gegen einen Stand mit Möhren und Bleichsellerie. Das Manöver trug
ihm drei Schimpfnamen ein, darunter erstaunlicherweise einen, mit dem man ihn
in der Vergangenheit noch nicht bedacht hatte, sowie ein paar schöne, glatte
Karotten, prall vor Saft. Schon mal nicht schlecht.
    Er sah sich um und
überlegte. Er konnte einen Abstecher zu den Apfelkisten der Bauern vom Alter
Markt unternehmen. Das war der sichere Weg. Ein paar Stücke reifes Obst, die
Möhren. Hunger und Durst gestillt.
    Aber es war einer dieser Tage – Jacop wollte mehr. Und dieses Mehr
lag leider auf der weniger sicheren Seite des Forums, im Süden,
bezeichnenderweise dort, wo die Zahl der Geistlichen unter den Marktgängern
zunahm. An den Fleischbänken.
    Die Fleischbänke –
    Dort war erst letzte Woche einer zum wiederholten Male erwischt
worden. Sie hatten ihm etwas vorschnell die rechte Hand abgehackt und ihn
tröstend darauf hingewiesen, jetzt habe er Fleisch. Im Nachhinein stellte die
Kölner Gerichtsbarkeit klar, es habe sich hierbei um einen keineswegs
gebilligten Akt der Selbstjustiz gehandelt, aber davon wuchs die Hand auch
nicht mehr an. Und letzten Endes: selber schuld! Fleisch war nun mal kein Essen
für die Armen.
    Und doch, hatte nicht der Dekan von St. Cäcilien erst kürzlich erklärt,
unter den Armen sei nur der mit Gott, der seine Armut ehrlich trage? War Jacop
also gottlos? Und konnte man einem Gottlosen vorwerfen, dass er der Versuchung
des Fleisches nicht zu widerstehen vermochte? So, wie ihn das Fleisch
versuchte,
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