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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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war die Versuchung des heiligen Johannes jedenfalls ein Dreck
dagegen.
    Aber es war gefährlich.
    Kein Gewimmel wie im Norden, wo man untertauchen konnte. Weniger
Gässchen. Nach den Fleisch- und Speckbänken nur noch die öffentliche Tränke,
und gleich im Anschluss der fatale öffentliche Platz am Malzbüchel, wo sie den
armen Kerl von letzter Woche gestellt hatten. Besser vielleicht doch die Äpfel?
Fleisch lag ohnehin zu schwer im Magen.
    Andererseits lag es in seinem Magen besser als in einem
Pfaffenmagen. Fand Jacop.
    Sehnsüchtig schielte er hinüber zu den Ständen, wo die roten Stücke
mit den fetten, gelben Rändern gehandelt wurden. Es war schon in Ordnung so.
Das Schicksal hatte eben nicht gewollt, dass er ein Richer wurde. Aber dass er
an gebrochenem Herzen starb, konnte es noch viel weniger gewollt haben.
    Während er schwermütig zusah, wie die Objekte seiner Begierde munter
die Besitzer wechselten, bemerkte Jacop Alexianer, Franziskaner und Konradiner,
Prioren von den Kreuzbrüdern und die schwarzen Kutten der Minoriten zwischen
stolzen Bürgerfrauen in weinroten Roben mit goldenen Schnallen, die
hocherhobenen Häupter gekrönt von reichbestickten Seidenhauben.
    Seit Erzbischof Konrad der Stadt im vergangenen Jahr endgültig das
Stapelrecht verliehen hatte, gab es keinen glanzvolleren Markt als den zu Köln.
Leute aller Stände trafen sich hier, niemand war sich zu schade, seinen
Reichtum zur Schau zu stellen, indem er vor den Augen seiner Nächsten die
Gademen leerkaufte. Der ganze Platz wimmelte zudem von Kindern, die ihre Standesunterschiede
mit Holzstecken ausfochten oder einträchtig Schweine über den festgestampften
Lehm jagten. Gegenüber dem von Bettlern umlagerten Kaufhaus der Leinwandhändler
an der Ostseite des Forums begann der Rindfleischverkauf. Dort hingen
getrocknete Würste, von denen ein rundes Dutzend soeben im Korb eines teuer
gekleideten Alten mit spitzem Hut verschwand, und Jacop wäre am liebsten mit
hineingekrochen.
    Beziehungsweise, es verschwand nicht ganz. Als der Mann nämlich
knöchern weiterschlurfte, baumelte eine der Würste keck heraus.
    Jacop sah sie mit aufgerissenen Augen an.
    Sie sah zurück. Sie versprach ihm den Vorhof zum Paradies, das
himmlische Jerusalem, die Seligkeit auf Erden. Sie platzte fast vor Schönheit.
Im dunkelrotbraungeräucherten Fleisch unter der strammen Pelle blickten
freundlich hunderte kleiner, weißer Fettstückchen zu ihm hin und schienen ihm
vertraulich zuzuzwinkern. Ihm war, als rufe ihn die Wurst zur kühnsten aller
Taten, sie einfach abzuzwicken und das Weite zu suchen. Er sah sich in seinem
Verschlag an der Stadtmauer sitzen und darauf herumkauen, die Vorstellung wurde
zur Wahrheit und die Wahrheit zur Besessenheit. Seine Füße setzten sich wie von
selber in Bewegung. Alles war vergessen, die Gefahr, die Angst. Die Welt war
eine Wurst.
    Gleich einem Aal flutschte Jacop zwischen den Leuten hindurch und
gelangte hinter den Alten, der jetzt stehen blieb und ein Bratenstück vom Pferd
begutachtete. Offenbar sah er schlecht, weil er sich dafür weit über den
Brettertisch beugen musste.
    Jacop drückte sich dicht an ihn heran, ließ ihn einige Sekunden
tasten und schnüffeln und schrie dann aus Leibeskräften:
    Â»Ein Dieb! Seht nur, da hinten! Er macht sich mit dem Filet aus dem
Staub, der Schweinehund.«
    Die Köpfe der Menschen ruckten hin
und her. Die Fleischer, da sie ja annehmen mussten, der Dieb befinde sich in
entgegengesetzter Richtung, drehten sich hastig um, sahen natürlich nichts und
blieben irritiert stehen. Jacops Finger brauchten keine Sekunde, dann glitt die
Wurst in seinen Mantel. Jetzt nichts wie weg.
    Sein Blick fiel auf die
Fleischbank. Koteletts zum Greifen nahe. Und immer noch starrten die Fleischer
ins Nichts.
    Er streckte die Hand aus, zögerte. Gib dich zufrieden, raunte eine
Stimme in ihm, hau endlich ab.
    Aber die Versuchung war zu groß.
    Er packte das zuvorderst liegende Kotelett in dem Moment, da sich
einer der Fleischer wieder umdrehte. Der Blick des Mannes traf seine Hand wie
die Axt des Henkers, während ihm das Blut zu Kopfe schoss.
    Â»Halunke«, keuchte er.
    Â»Dieb! Dieb!«, krähte der Alte neben ihm, verdrehte die Augen, ließ
ein rasselndes Ächzen hören und kippte zwischen die Auslagen.
    Jacop zögerte nicht länger. Er holte aus und warf dem Fleischer das
Kotelett mitten
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