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Fey 03: Der Thron der Seherin

Fey 03: Der Thron der Seherin

Titel: Fey 03: Der Thron der Seherin
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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gegenüberliegenden Wand stand ein Bett mit duftigen roten Vorhängen, an den anderen Wänden waren Stühle aufgereiht. Alle Fenster waren mit Wandteppichen verhängt, auf denen Säuglinge abgebildet waren: Sie wurden geboren, in den Armen gewiegt, gekrönt. Nur ein Fenster stand offen – dasjenige, durch das die kleinen Leute gekommen waren.
    Es machte Spaß, so durch die Luft zu schweben. Es fühlte sich an, als würde man von jemandem in den Armen gewiegt. Er kuschelte sich in seine Decken und sah zu, wie die kleine Frau den Stein auf sein Kissen legte.
    Dann wurde die Türklinke nach unten gedrückt. Die winzige Frau schwebte über der Wiege und scheuchte die anderen kleinen Leute mit einer Handbewegung weg. »Schnell!« flüsterte sie. »Schnell!«
    »Vielleicht wecken wir ihn auf, Jewel«, hörte er die Stimme seines Vaters.
    »Kleine Kinder haben einen festen Schlaf.«
    »Warte«, sagte der Vater. »Ich möchte erst herausfinden, was der Name bedeutet. Dann können wir uns entscheiden. Bedeutet er nichts, dann …«
    »Du mußt wissen, wer ihn vorher getragen hat«, sagte seine Mutter. »Das ist wichtig.«
    Inzwischen hatten sie das Fenster fast erreicht. Einen Augenblick lang hatte er seine Mutter ganz vergessen. Jetzt erinnerte er sich wieder an sie. Er wollte, daß sie mit ihm durch die Luft schwebte. Er wälzte sich auf die Seite, und die kleinen Leute fluchten. Das Netz schaukelte bedenklich. Er heulte auf, ein langgezogener Klagelaut.
    »Schsch!« sagte der kleine Mann, der ihm am nächsten war.
    Jetzt wich der Schatten vom Gesicht der Kinderfrau. Sie schnaubte, seufzte kurz und sank noch tiefer in den Schlaf. Der Schatten glitt über den Kamin zum Fenster.
    Er heulte abermals. Die Kinderfrau regte sich und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Seine Füße waren schon draußen. Es regnete, aber die Tropfen berührten ihn nicht. Sie machten einen Bogen um seine Füße, als trüge er einen unsichtbaren Umhang.
    Die Kinderfrau öffnete die Augen. »Nein, was ich geträumt habe, mein Kleiner«, sagte sie. »Was für ein Traum.«
    Er antwortete mit einem Wimmern. Die kleinen Leute strengten sich noch mehr an, ihn aus dem Fenster zu zerren. Die Kinderfrau beugte sich über die Wiege. Sein Blick folgte dem ihren. In seinem Bett lag ein anderes Kind. Seine Augen waren offen, aber leer. Die Kinderfrau streichelte ihm die Wange.
    »Du bist ja ganz kalt, mein Lämmchen«, sagte sie.
    Die kleine Frau verbarg sich immer noch im Vorhang der Wiege. Sie bewegte die Finger, und das Kind gurrte. Die Kinderfrau lächelte.
    Er starrte ungläubig auf das kleine Wesen, das seinen Platz einnahm. Es sah aus wie er selbst, aber es war nicht er. Noch vor wenigen Sekunden war es ein Stein gewesen.
    »Wechselbalg«, dachte er, nicht nur sein erstes Wort, sondern das erste Zeichen seines Bewußtseins, das, dank der magischen Berührung der Fey, bereits das eines Erwachsenen war.
    Jetzt schrie er wirklich. Die kleinen Leute zogen ihn mit sich, über den Hof, hinaus auf die Straße. Die Kinderfrau blickte auf und trat stirnrunzelnd ans Fenster. Wieder schrie er, aber da war er schon so hoch wie die Wolken und ein ganzes Stück entfernt. Die Kinderfrau schüttelte den Kopf, griff nach dem Wandteppich und zog ihn zu.
    »Leise, Kindchen«, sagte der kleine Mann, der über ihm flog. »Bald bist du zu Hause.«

 
     
     
DAS ATTENTAT
     
(Drei Jahre später)

 
2
     
     
    Am Rande der Sümpfe von Kenniland wuchsen die Bäume hoch und spindeldürr, aber ihre dicken, silbrigen Blätter boten einen hervorragenden Sichtschutz. Rugar, der Sohn des Schwarzen Königs und Anführer der Fey auf der Blauen Insel, balancierte im größten Baum am Rand des Sumpfgebietes vorsichtig auf einer Astgabel. Er war froh, daß die Frühlingsluft schon so warm war. Schon seit dem Morgengrauen hockte er in diesem Baum, und mittlerweile taten ihm seine Beine gehörig weh. Er streckte sie vorsichtig aus, ohne dabei die Zweige zu bewegen oder die kleine Öffnung zu verändern, die er sich zwischen den Blättern geschaffen hatte. Die Pfeile in dem auf seinen Rücken geschnallten Köcher schlugen leise aneinander. Der Bogen glitt von seinem Platz, und Rugar erwischte ihn gerade noch kurz vor dem Herunterfallen.
    Plötzlich erstarrte er und atmete lautlos, während er darauf wartete, daß sein Herz aufhörte, wie wild zu pochen.
    Zweimal überprüfte er den kleinen Lichterkreis, der über seinem Kopf schwebte. Sein plötzliches Erschrecken hatte ihn nicht
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