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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aufgesprungen und davongeflitzt wie ein junger Hund, der einem Ball nachjagte. Niemand, der ein paar gebrochene Knochen oder gar innere Verletzungen hatte, konnte sich so bewegen. Er war erschrocken gewesen, das war alles. Wahrscheinlich verkroch er sich aus Angst und war der Meinung, er hätte den Unfall verursacht (hatte er ja auch: Dieses blöde Balg war wie aus dem Nichts zwischen zwei parkenden Autos aufgetaucht und so schnell auf die Straße hinausgestürmt, dass er ihm einfach nicht mehr hatte ausweichen können, ganz egal, ob mit oder ohne Alkohol im Blut), und wenn er nur ein ganz kleines bisschen Glück hatte, dann würde er zu Hause nicht einmal etwas davon erzählen, sondern sich schlimmstenfalls irgendeine wilde Geschichte ausdenken, nach der er vom Fahrrad gefallen, von einer Bande Türkenjungen verprügelt oder von Außerirdischen entführt worden war, um seine Schrammen zu erklären. Er sollte machen, dass er hier verschwand, dachte Will, zum Teufel noch mal, bevor jemandem sein Wagen auffiel oder rein zufällig eine Streife vorbeikam.
    Ja, die Stimme klang überzeugend. Sie war selbstsicher, aber dieselbe selbstsichere, überzeugende Stimme war auch dafür verantwortlich, dass er acht seiner noch nicht annähernd vierzig Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Und jedes Mal, wenn er sie hinterher zur Rede stellte, hatte sie geschwiegen.
    Wenn er aber verschwand, und sie fanden in dieser Ruine ein schwer verletztes oder gar totes Kind, dann waren die zwei Jahre Bewährung, die im Moment wie ein Damoklesschwert über ihm hingen, sein geringstes Problem. Die Bullen waren nicht blöd. Sie waren manchmal ein bisschen bequem, manchmal ein bisschen langsam, oft ein bisschen stur, aber bei toten Kindern hörte auch für sie der Spaß auf, und wenn sie ihre ganze schwerfällige Maschinerie erst einmal in Gang gesetzt hatten, dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihn überrollte. Sie würden ihn kriegen, daran bestand nicht der geringste Zweifel, ganz egal, was die Stimme in seinen Gedanken auch behauptete.
    Während seine Fantasie fortfuhr, ihn mit allen möglichen Schreckensszenarien zu plagen, richtete sich Will auf, kniff die Augen zusammen und versuchte, der Spur zu folgen. Hier drinnen im Haus war sie nicht mehr so deutlich zu erkennen, aber auch nicht ganz verschwunden: Da war ein einzelner Fußabdruck, dort ein feuchter Fleck, wo die Oberfläche des gerade erst im Trocknen begriffenen Morastes aufgerissen war … Es war eigentlich gar nicht so schwer, die Fährte nicht zu verlieren. Die Spur führte einige Meter weit in die Richtung, in die er selbst gerade gelaufen war, und knickte dann nach links ab, um hinter einer halb verkohlten und aus den Angeln gerissenen Tür zu verschwinden. Will quetschte sich durch den schmalen Spalt und wäre auf der anderen Seite um ein Haar in die Tiefe gestürzt, denn dort befand sich kein weiteres Zimmer, sondern eine schmale Treppe, die jäh nach unten führte. Eine Sekunde lang hatte er das Gefühl zu stürzen; dann fand er sein Gleichgewicht wieder, tastete vorsichtig mit den Füßen nach festem Halt und sank mit einem erleichterten Seufzen zurück. Verdammte kleine Kröte! Er sollte ihn einfach da unten liegen und verrecken lassen!
    Stattdessen tastete Will mit dem rechten Fuß ins Leere, bis er die nächste, unerwartet tief liegende Stufe gefunden hatte, ließ sich vorsichtig in die Hocke sinken und atmete ein paar Mal ein und aus, bis sich sein rasender Puls beruhigt hatte. Ein Rest von Tageslicht sickerte über seine Schultern herein, und auch weiter unten war es wieder heller; ein Teil der Kellerdecke musste eingestürzt sein.
    Zumindest war es hell genug, um zu erkennen, dass der Teil der Villa, der unter der Erde gelegen hatte, eine glatte Mogelpackung war. Der Treppenschacht hatte die Form eines Gewölbes, das in einem Winkel in die Tiefe führte, der vermutlich schon vorschriftswidrig gewesen war, bevor man dieses Haus gebaut hatte, und das über eine erstaunliche Distanz; fünf, wenn nicht sechs Meter, schätzte er. Will zögerte. Er war ganz und gar nicht sicher, dass der Junge wirklich hier unten war, aber andererseits – welche Wahl blieb ihm noch?
    »Bist du da unten irgendwo?«, rief er.
    Die einzige Antwort, die er bekam, war das Echo seiner eigenen Stimme.
    Will fluchte lautlos in sich hinein. Wenn er Pech hatte, stand der Keller nicht nur unter Wasser, sondern erstreckte sich möglicherweise auch noch unter dem gesamten Gebäude,
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