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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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lag, war keine wirkliche Stille, sondern schien mit jedem Herzschlag lauter zu werden. Wo war dieser Junge? Wo war dieser verdammte Junge?
    Will trat einen weiteren Schritt in das ausgebrannte Kaminzimmer hinein, das allein ungefähr doppelt so groß wie seine ganze Wohnung war, und blieb sofort wieder stehen, als irgendetwas unter der dünnen Ascheschicht zerbrach, auf die er seinen Fuß gesetzt hatte. Sein Herz setzte für einen Moment aus und schien dann noch heftiger weiterzuhämmern. Nun, immerhin konnte er sicher sein, dass der Junge hier nicht entlanggekommen war. Wunderbar. Etwa fünfzig Quadratmeter mögliches Versteck eliminiert – von wie vielen? Vierhundert? Wahrscheinlich mehr.
    Will gestand sich ein, dass wildes Herumsuchen rein gar nichts brachte. Er befand sich am Rande der Panik, und er tat noch sein Möglichstes, um sich weiter hineinzusteigern. Vielleicht wäre er gut beraten, es ausnahmsweise einmal mit logischem Überlegen zu versuchen. Irgendwo hinter ihm polterte etwas. Ein Stein kollerte davon, dann – vielleicht – Schritte. Möglicherweise hatte sich auch irgendwo nur ein Trümmerstück gelöst und eine kleine Kettenreaktion in Gang gebracht. Will sah sich einen Moment lang nachdenklich um, wandte sich dann wieder in die Richtung, aus der er gekommen war, und ging den gleichen Weg zurück, den Blick gesenkt und aufmerksam auf die deutliche Spur aus Fußabdrücken gerichtet, die er in der Mischung aus Morast und zusammengebackener Asche zurückgelassen hatte.
    Er ging ungefähr zehn oder fünfzehn Schritte weit. Dann blieb er stehen, riss Mund und Augen auf und beschäftigte sich weitere drei oder vier Sekunden lang damit, sich selbst in Gedanken mit einer ganzen Reihe von Ausdrücken zu belegen, von denen »Idiot« vielleicht noch der schmeichelhafteste war. Er hatte eine Spur hinterlassen, die sogar der berühmte Blinde mit seinem Krückstock ertasten konnte. Selbst wenn dieser verfluchte Bengel nur halb so viel wog wie er, hätte er schon wie Jesus über das Wasser wandeln müssen, um nicht ebenfalls Fußabdrücke zu hinterlassen, denen er nur zu folgen brauchte.
    Fast schon behutsam tastete er sich zurück zum Eingang der Ruine und ließ seinen Blick über die schlammige Mondlandschaft gleiten, die einmal ein gepflegter Vorgarten gewesen war. Er brauchte nur Augenblicke, um die Spur zu entdecken, die er selbst verursacht hatte, und nur einige weitere, bis er die zweite, etwas schmalere Fährte sah, die fast parallel dazu verlief. Großer Gott –wie blind war er eigentlich gewesen?
    Sein erster Impuls war, einfach herumzufahren und ins Haus zurückzustürmen, aber diesmal behielt seine Vernunft die Oberhand. Aufmerksam folgte er der Spur, bis er den Punkt gefunden hatte, an dem sie im Haus verschwand, und ließ sich dort neben einem der schmalen Fußabdrücke in die Hocke sinken. Der Abdruck war deutlich flacher als seine eigene Spur – seltsam, der Junge war ihm größer und vor allem auch schwerer vorgekommen, als er sich aufgerappelt hatte und davongelaufen war. Aber wenn er die Abdrücke mit seinen eigenen verglich, dann konnte er kaum mehr als siebzig oder allerhöchstens fünfundsiebzig Pfund wiegen. Vermutlich so ein verzogener Luxusbengel, dessen Eltern ihm eine ganze Armee überbezahlter Anwälte auf den Hals hetzen würden. Wenn er den Jungen nicht fand und die Sache irgendwie geradebog, dann war er erledigt.
    Im Inneren des Hauses war die Spur weit weniger deutlich als draußen, und dazu kam, dass es jetzt immer rascher dämmerte. In zehn, spätestens in fünfzehn Minuten würde es völlig dunkel sein, und wenn seine Glückssträhne anhielt, würde ihm allerspätestens eine Minute danach irgendein Trottel in den Wagen fahren, der mit laufendem Motor, offener Fahrertür und ausgeschalteten Scheinwerfern draußen am Straßenrand stand.
    Vielleicht wäre es das Vernünftigste, wenn er machte, dass er hier wegkam – solange er noch konnte. Anscheinend hatte niemand den Unfall beobachtet. Er könnte es riskieren. Einfach zum Wagen zurückgehen, einsteigen und davonfahren, als wäre nichts passiert, und darauf hoffen, dass der Junge sich nach einer Weile wieder beruhigte, aus seinem Versteck herauskam und nach Hause humpelte, um seine blauen Flecken und Schrammen zu kühlen.
    Aber was, wenn er mehr hatte als ein paar blaue Flecken?, flüsterte eine leise Stimme in seinem Kopf. Und eine andere, deutlich überzeugendere Stimme versicherte ihm das genaue Gegenteil: Der Kleine war
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