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Feuer fuer den Grossen Drachen

Titel: Feuer fuer den Grossen Drachen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Theatermann.»
    Die Holsteiner suchten nach einer Pinkelbude; einer wollte ein Eis.
    Der Fremdenführer wurde lauter. «Kreuzberg – das ist die größte türkische Stadt außerhalb der Türkei; über 100000 Türken leben hier in West-Berlin, über 30000 allein in Kreuzberg. Die Mietskasernen und die verrotteten Häuser werden wir gleich auf unserem Weg zum Mariannenplatz besichtigen können. Bitte, alle zusammenbleiben!»
    Kochale half einer Krankenschwester aus Fehmarn, Mittelalter schon, beim Einlegen ihres Films, und bekam solchermaßen noch mit, wie der schon leicht genervte Cicerone, auf die besungene Straße weisend, Araş Ören zitierte: «Und die Naunynstraße wurde / voll von frischem Thymiangeruch, / voll von frischem Haß, / voll Sehnsucht, / voll mit Hoffnung, / bedeckt mit Steppenduft…»
    Die Krankenschwester aus Fehmarn vermißte ihre verbilligte Touristenkarte Bus/U-Bahn, und man begann den ganzen Reisebus auf den Kopf zu stellen.
    Kochale hatte nichts Rauchbares mehr und marschierte in die Oranienstraße hinein, Richtung Görlitzer Bahnhof, um sich bei Meyerhoff, einem ausgeflippten Genie, Computerbauer und so, mit neuen Zigarillos zu versorgen.
    Doch der Laden war zu. Am Schaufenster klebte ein Blatt Papier, das, von Kindern bearbeitet, nur noch schwer zu entziffern war: Wegen vorübergebender Ermordung geschlossen.
    Meyerhoff also kaltgemacht. Kochale registrierte es nicht anders, als er eine 1:2-Niederlage Herthas in Worms registriert hätte. Nun ja. Wo jetzt Zigarillos kaufen? Er überlegte.
    Er überlegte eine halbe Minute zu lang.
    Plötzlich war die Hölle los. Ganze Heerscharen von Polizisten sprangen von den Mannschaftswagen, fünfzig Mann bestimmt, und setzten an, das Nachbarhaus zu stürmen. Auch dort hatten sich, was Kochale nicht aufgefallen war, Instandbesetzer eingenistet, um den Kapitalismus zu reparieren; Auswanderer nicht in ferne Länder, sondern in die Herzen unserer Städte. Der Hauseingang war mit Stacheldraht geschützt, die Polizisten prallten zurück, als man ihnen von oben her zurief, man würde ihn noch zusätzlich unter Strom setzen. Leuchtraketen zischten über die Straße, die ersten Steine knallten den Polizisten auf die Schutzschilde.
    «Das Gesindel da oben müßt ihr schon ausräuchern», sagte Kochale. Das bewahrte ihn davor, einen schon geschwungenen Schlagstock auf den Kopf zu kriegen. Danach zog er es vor, in den nächsten Hausflur zu schlüpfen und über den angrenzenden Hinterhof das Weite zu suchen.
    Theo wohnte am Erkelenzdamm, der, sich am zugeschütteten Kanal entlangziehend, ebenfalls in den Oranienplatz mündete und zu Kaisers und Eberts Zeiten eine sehr respektable Wohngegend gewesen war; auch Kochales Großonkel, Bankdirektor, hatte hier residiert. In einer dieser ehemals großbürgerlichen Wohnungen, mit Dienstbotenaufgang und so, hatte sich Theos WG etabliert, seine Wohngemeinschaft.
    Kochale hatte beim Umzug geholfen, wie sonst. Theos Worte damals: «Das ist genau das Richtige für mich – ausgestiegen, aber nicht abgestiegen.» Und Kochale: «Wärste noch weiter in diesem Slum hier verschwunden, hättste mich zum letztenmal gesehen!» Kochale haßte Kreuzberg, diese verpißten Straßen, nix von dirty old town. «Da gibt’s nur eines für mich: abreißen, Kahlschlag! Und dann was Vernünftiges hingebaut.»
     
     
    Die Tür zu Theos Wohngemeinschaft stand offen; zu klauen gab’s hier eh nicht viel, und das dauernde Geklingel der Kinder nervte über alle Maßen.
    Kochale haßte dieses Loch, wie er Theos Domizil aufstöhnend nannte, und er hatte ihm diesen Umzug, raus aus der gemeinsamen Studentenbude, noch immer nicht verziehen.
    Im endlos langen Flur brannte energiesparend eine müde Funzel von höchstens 25 Watt, es stank nach Sauerkraut. Dessen Genuß hatte sich Theo, so sehr er ansonsten alles verpönte, was als urdeutsch angesehen wurde, mit einem kleinen dialektischen Schlenker erlaubt: «Der Sauerkrautverzehr ist für mich aus zweierlei Gründen eine existentielle Notwendigkeit, denn einmal kann ich durch ihn meine absolute Vorurteilslosigkeit und Flexibilität beweisen, und zum anderen brauche ich ihn zur Reflexion über meine gesellschaftliche Identität und den Grad meiner Integration in den deutschen Kulturkreis.»
    Am Ende des Flurs, mit den Fingern den Radetzkymarsch auf ein freiliegendes Gasrohr trommelnd, stand Theo und parlierte mit einem athletisch gebauten Herrn, den Kochale für den Hauswirt hielt («… bei euch wird doch die
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