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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht
Autoren: Ralf Rothmann
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das Rot, das etwas heller sei als ihr Haar, im Sommer fastblond. »Ungeschminkt, sagt mein Freund, sehe ich aus wie ein Albino.«
    Diesmal lässt sie ihm die Hand länger, und später trinkt auch sie etwas Wein. Die Knöpfe an den Manschetten ihrer weißen Bluse, dunkle Granatsteine, klicken gegen das Glas, und während sie sich unterhalten, wird er mehr und mehr eingenommen von ihrer Aufmerksamkeit, dem ruhigen Vertrauen darin, gibt sie seinen Formulierungen doch genau das Licht und die Kontur, die sie sonst vermissen lassen; Unfug wird gar nicht erst laut. Ihr anschmiegendes Verständnis wiederum lässt sie Sätze sagen, deren sanfte Kraft etwas zurechtzurücken scheint in seinem Innern, und einen ungläubigen Moment lang hat er das Gefühl, dass ihre jeweiligen Geheimnisse einander aufheben und nichts mehr falsch ist an ihm, nicht einmal sein schlimmster Fehler. Die Gespräche mögen mehr oder weniger alltägliche sein, ihr innerster Hall aber lotet eine Tiefe aus zwischen ihnen, in der sie sich seit jeher kennen und nie getrennt waren; und wenn sie schweigen und auf die Fische in den Aquarien blicken, umschließt sie diese stille, fraglos ohne Worte auskommende Übereinstimmung wie etwas Samtenes, ein unsichtbares Futteral. Wolf bestellt noch einen Schnaps.
    Auf dem Weg zur Villa – ganz selbstverständlich geht sie mit ihm durch die Stadt, und manchmal ist die gesamte Breite der Straße zwischen ihnen, der Mondglanz auf dem nassen Asphalt – fragt er sie nach ihrem Freund, worauf sie nur wenig antwortet, klar. Auch er will schließlich nicht von seiner Freundin reden, eine Geschichte für sich, und sie bleiben unter dem nunerblühten, von einer Laterne durchleuchteten Magnolienbaum stehen. Ein paar Räume des Standesamtes werden abends von der Volkshochschule genutzt, für einen Tangokurs, wie es scheint. Sie sehen die Tanzenden nicht, nur ihre Schatten an der Wand, die sich auch noch bewegen, als das Bandoneon verstummt. Wolken treiben über den Himmel, verdunkeln den Mond, und in der Stille hören sie die harten Blütenblätter auf den Rasen fallen, auf das Pflaster.
    Beide sind sie leicht betrunken. Seit ihm klar war, dass sie in der Nacht zusammenbleiben würden, hatte er sich genau die Menge gegeben, die er braucht, um nicht zu schnell zu kommen. In der Wohnung greift Alina nach seinem Revers, die Locken kitzeln ihn im Gesicht, und er ist leicht enttäuscht von ihrer Art zu küssen. Er hätte sich den Mund weicher und beweglicher gewünscht, erfahrener auch, ein bisschen verrucht; er hätte gern ihre Hand zwischen seinen Beinen gespürt. Doch sie hat kindlich feuchte Lippen und hält die Augen noch geschlossen, als er sich schon wieder von ihr löst. Dann atmet sie tief und fragt nach dem Telefon.
    Es liegt im Schlafzimmer, und sie ruft zu Hause an, um sich abzumelden für die Nacht. Obwohl er kein Wort versteht, fällt ihm ihre veränderte Stimme auf – als hätte man einen Goldfaden daraus entfernt. Etwas Familiär-Alltägliches überschattet sie, und nicht nur der verabredete Gehorsam der Tochter ist darin, sondern auch die kurzsilbige Entschlossenheit, sich keine Ratschläge oder Mahnungen anzuhören, diesmal nicht. Offenbar wird es dennoch versucht, man lebt ineiner sauerländischen Kleinstadt, sie ist verlobt, und ihr grußloses Auflegen bei gerunzelten Brauen gibt dem Moment einen Stich ins Eisige. Wolf entkorkt einen jungen Burgunder. »Vorsicht«, ruft er, als sie auf das Sofa sinkt. »Die Lehne wackelt!«
    »Ach was«, sagt sie und lässt ihre Manschettenknöpfe in ein leeres Weinglas fallen. »Die ganze Welt wackelt.« Sie küssen sich erneut, und während er ein paar Kerzen anzündet, streift sie Jeans und Slip in einem Zug herunter, und er versucht vergeblich, seine Heiserkeit hinwegzuräuspern. Das Unscheinbare oder auch etwas Unfertige ihrer Schönheit, wie sie ihm in Kleidern erschien, ist ausgelöscht vom Anblick ihrer reifen Formen. Die Scham ist nur wenig behaart, eine schmale Flamme, die Brustwarzen sind blass, fast rosa, und was sich da seiner Hand entgegenschmiegt und bereitwillig öffnet, erschüttert ihn um so mehr, als Alina gar nicht zu wissen scheint, wie herrlich sie ist, wie leuchtend in ihrer Jugend. Er sagt ihr das, während er seinen Gürtel öffnet und sich selbst in die Hacken tritt, um die Stiefel loszuwerden, und sie verschränkt die Finger hinter dem Kopf und blickt ironisch schmunzelnd an sich hinunter, als dächte sie: Wenn du denn glauben möchtest, dass das der
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