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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht
Autoren: Ralf Rothmann
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Versprechen ab, mit dem Rauchen aufzuhören. Schließlich schenkt er ihr eine Kette, zartes Gold mit einer einzelnen Perle, und bringt sie zur Tür, zu ihrem Auto. Beim Anfahren reißt sie eine Fliederdolde mit dem Seitenspiegel herunter, und er bemerkt, dass sie weint. Doch streckt sie ihm die Zunge heraus und biegt um die Ecke. Leben in verschiedenen Richtungen. Am Tag seiner Abreise sieht er sie noch einmal in der Einkaufsstraße, hinter einer Schaufensterscheibe. Sie steht vor den Regalen eines Herrenausstatters und lässt sich Taschentücher zeigen, fein gewebte Kostbarkeiten, und obwohl er winkt, bemerkt sie ihn nicht. Einen Lidschlag lang überlegt er, ob er zu ihr gehen soll; doch dann kommt das Taxi.
    Es gibt Momente nach einer Autorenlesung, die gehören zu den traurigsten, trostlosesten, besonders wenn es eine gute Veranstaltung war, mit freundlichem Applaus und vielen verkauften Büchern: Das Publikum hat den Raum verlassen, der Händler macht Kasse, und der Autor signiert noch ein paar Exemplare für das Schaufenster; das Lehrmädchen reißt sie für ihn aus der Folie. Und während er überlegt, wie er der üblichen Einladung zum Essen in irgendein Restaurant mit schweren, in Leder gebundenen Speisekarten und typischen Gerichten der Region ausweichen kann, blickt er kurz auf und sieht, dass ein paar Zuhörer geblieben sind, möglicherweise Freunde oder Bekannte des Buchhändlers, denn sie machen sich nützlich. Sie rücken die Warentische zurecht und sammeln Gläser und Aschenbecher und Schälchen mit Erdnüssen ein. Manche nicken ihm zu oder lächeln scheu, andere unterhalten sich leise, und der Autor, der wieder und wieder seinen Namen schreibt, hat plötzlich das ungute Gefühl, dass alles vergeblich war. Dass er den Menschen das, was sie im Innersten herbeisehnen, nicht geben konnte, nie wirklich geben können wird, trotz aller Kunst nicht, und also auch nur ein elender Faxenmacher ist, einer von denen, die aus Eitelkeit ihr Publikum blenden, damit die eigene Blindheit verborgen bleibt. Denn jeder dieser Kulturteilnehmer ist wegen etwas ganz anderem aus dem stillen Haus gegangen, aus der Wohnung mit der Katze und den blauen Ansichtskarten hinter dem Gewürzregal; jeder hat sich ein Versprechen erhofft, ein neues Schweben, etwas, das ihn in die Wolken reißt – und verbirgt nunseine Enttäuschung, indem er hilft, die Stühle zu stapeln.
    Er denkt an Alina in ihrem Köln, er wünscht sie sich in sein Hotelzimmer, nur mit einem Laken drapiert, während ein Pornofilm läuft. Doch er hat nicht einmal ihre Telefonnummer, wenn es denn eine gibt. Sie ist es, die gelegentlich anruft, aus einer Zelle vor dem Studentenheim, und sonntags hört er Glocken im Hintergrund, die ganze Stadt scheint zu dröhnen. Dann reden sie zwanglos miteinander, ein fröhliches Plappern ohne Vorbehalte, das er sonst nicht von sich kennt und über das er nach dem Auflegen staunt; fast immer setzt er sich beschwingter an seinen Tisch, und das Schreiben wird für eine Weile leicht. Doch dass das mit ihr zu tun haben könnte, kommt ihm nach wie vor nicht in den Sinn, nicht einmal, wenn es wieder schwerer wird.

    Wo war man gestern? Der Verlag vereinbart die Termine, der Autor klappert sie ab. Er kennt sein schmales Buch inzwischen auswendig; er könnte die Augen schließen und fragt sich während des Vorlesens, ob er danach eine Pizza essen geht oder doch eher ein Steak. Mehr Obst wäre besser, weniger Schokolade. Am nächsten Tag dasselbe, wochenlang, und er macht einen Umweg über die Heimatstadt und steht eine Weile am Grab der Eltern, bei laufendem Taxameter.

    Die Fahrt von Kreuzberg in den Wedding hat etwas Gespenstisches in der Zeit, denn die U-Bahn verlässtnach der Kochstraße den Westteil Berlins und unterquert bis zur Reinickendorfer den Osten, sechs Stationen lang; die stillgelegten, für die Bevölkerung gesperrten Bahnhöfe, seit Kriegsende unverändert, müssen im Schritttempo passiert werden. Schriftzüge in zerschossener Fraktur, bröckelnde Treppen, zugemauerte Eingänge, hin und wieder ein Spruchband oder ein Plakat: »Antikommunismus und Antisowjetismus sind Ursache für die verschärfte Weltlage!« oder »Die Deutsche Demokratische Republik steht für die Erhaltung des Friedens zwischen den Völkern!« Nur vereinzelt brennen Glühbirnen oder auch Neonröhren, deren Licht einem grauer vorkommt als gewohnt und die Gesichter der Wachsoldaten, meistens sind es zwei, wächsern erscheinen lässt, wie Masken.
    Im Winter
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