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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht
Autoren: Ralf Rothmann
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wirkte – es war nie viel zu tun, er musste nur ihren Blicken standhalten –, war man schneller miteinander intim, als man sich kennenlernte, und aus dieser Zeit ist ihm vermutlich ein Mangel an Einfühlsamkeit und Geduld geblieben. Umwerbung ist seine Sache nicht, dazu steht ihm sein Stolz im Weg, und außerdem macht es ihm Mühe, Achtung aufzubringen für eine Frau, die Wert auf dieses ganze Balztheater legt. Der Aspekt, dass sie ihm mit verlockendem Lächeln die kühle Schulter zeigt, um seine ernsten Absichten zu prüfen, seine Kraft und Ausdauer und die Qualität seiner Gene, ist ihm doch zu zoologisch. Er träumt von dem stummen Erkennen jenseits des Gequatsches, dem einen Blick, in dem alles ist. Er träumt von jemandem, mit dem er schweigen kann.
    Der Winter dauert lange in dieser Gegend, die Parterrefenster verschwinden im Schnee, doch nun taut es wieder, die Knospen werden praller und glänzen wie glasiert, und er fängt an zu arbeiten, endlich. Irgendetwas treibt ihn über die Seiten, eine neue Zuversicht, die mit der Jahreszeit zu tun haben muss, dem veränderten Lauf der Sonne; im morgenhellen Zimmer sitzt er nackt an seinem Tisch, und wie sich bei der Lektüre mancher Bücher eine fast behagliche Benommenheiteinstellt, die einen nur noch dunkel spüren und verstehen lässt, was genau man liest – man gibt sich dem Sprachfluss hin, dem Sound, und vertraut darauf, dass einem der Text irgendwie hilft, dass er etwas für einen tut –, so ist es jetzt beim Schreiben. Alle Pläne und Konzepte vergessen, die meisten Notizen zerknüllt, und während er sich der rhythmischen und poetischen Logik der Sätze überlässt, dem Geruch der Bleistifte, dem leisen Rauschen ihrer Spitzen auf dem Papier, füllt er Seite um Seite mit einer Geschichte, an die er vorher mit keiner Silbe gedacht hat. Ja, der Frühling dichtet für ihn, wochenlang; er narrt ihn mit überflüssigen Adjektiven und lässt die Knospen platzen und das Telefon klingeln wie von fern. Vermutlich ruft jemand im Standesamt an. Doch dann wird es lauter und schrillt im Flur: Alina.
    Er hat noch ein kleines Komma am Kinn, Schnittlauch vom hastig zubereiteten Omelette, das sieht er im Garderobenspiegel. Ihre mündliche Prüfung in der Buchhändlerschule stehe bevor, und sie habe sich entschlossen, ein Referat zu halten über ihn und seine Arbeit, und bitte um ein Treffen, möglichst bald. Er schlägt ein italienisches Restaurant in der Einkaufsstraße vor, das abends meistens leer ist, eine mit Aquarien vollgestellte Grotte aus Gips, wo sie schon auf ihn wartet. Die Wassergläser sind blau, und die Weinpokale haben Stiele aus Milchglas, schlanke Statuetten. Sie essen Nudeln und kommen überein, sich zu duzen. Einen Recorder hat sie dabei, nicht größer als eine Zigarettenschachtel, und während sie von ihrer Cola nippt und ihn nach seinen Texten und dem Leben als Autor fragt,betrachtet er von neuem ihr Gesicht, das ihn anders anspricht als vor Wochen – als wäre es nachgezeichnet worden von einem Entschluss, dessen Ernst in sein Innerstes zielt. Es erstaunt ihn, dass er sich nicht hart macht dagegen, was möglicherweise an ihrer Blässe liegt, dem Teint der Rothaarigen, hinter dem er sich nichts Arges denken kann. Besonders die Klarheit um die leicht sommersprossige Stirn und die blauen Augen herum erschüttert ihn mehr und mehr; hier neigt sich ihm etwas zu, das nicht unbedingt mit ihr zu tun hat; reiner kann die Ausstrahlung eines Menschen kaum sein. In einer Menge oder auch nur auf deren Foto – und sei es eines jener grobkörnigen aus der Zeit, als sie beide noch gar nicht geboren waren – würde er diese Partie schneller wiedererkennen als sein eigenes Gesicht.
    Während sie ihn interviewt, fühlt er sich zunehmend beengt in seiner Autorenrolle, ihrer lachhaften Seriosität, die ihn an Tweedjacken erinnert, feuchte, leicht dampfende; Autorenfalle, denkt er. Bis vor kurzem hat er in vielen verschiedenen Berufen gearbeitet, körperlich hart, und die Membran zwischen Poet und Prolet ist noch zu dünn und zu durchlässig, als dass er sich eines von beiden glauben könnte. So greift er denn wieder nach Alinas Fingern und spricht sie auf ihre Wimpern an, schwarz getuscht: Wie sie es hinkriege, dass es keine Klümpchen darin gebe wie bei den meisten anderen Frauen, nicht ein einziges. Und sie lächelt verlegen und stellt den Recorder wieder aus: Ja, das sei auch eine Art Kunst, eine mühevolle jeden Morgen. Aber sie mag deren natürliche Farbe nicht,
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