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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht
Autoren: Ralf Rothmann
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für den Anblick!« hinein.
    Die Veranstaltung ist im ersten Stock, in einem absurd großen Saal. Sie dimmt das Licht herunter und setzt sich in die erste Reihe, als einzige, die Kassette mit dem Geld auf dem Nachbarstuhl. Ein weißhaariges Ehepaar hat einen Hund dabei, einen riesigen, zotteligen, der sich neben den Heizkörper legt. Es gibt kein Mikrofon, das Anlesen gegen die Leere ist schweißtreibend, die Brille beschlägt. »Etwas lauter bitte!« ruft ein Zuhörer von hinten, und er klammert sich an den Buchseiten fest und liest schneller, um fertig zu werden. Da er den Wörtern so den Atem nimmt, verliert sich ihr Zauber, und selbst die heiteren Stellen klingen taub; wenn aber zwischendurch der Hund gähnt und seine Kieferknochen vernehmlich zusammenklappen läßt, ist hier und da ein Kichern zu hören, ein Prusten durch die Nase. Als schließlich applaudiert wird,zögerlich, schlaff und doch mit einem Hall, der den Saal noch höher zu wölben scheint, springt das Tier bellend auf und kann nicht schnell genug zum Ausgang kommen.
    Später, beim Wein mit einem Galeristen, der Kulturamtsleiterin und dem Apotheker, schweigt sie meistens, die Schöne, spielt mit ihren Autoschlüsseln und träumt aus dem Fenster hinaus, Butzenscheiben. Vergeblich versucht er, etwas von ihrer Figur auszumachen unter dem flauschigen Pullover und der weiten Jeans, einer Latzhose wohl; jedenfalls hat sie eine Zollstocktasche. Auch die Schuhe sehen eher gesund aus, und sie trägt keinen Schmuck, die Ohrlöcher sind leer. Ihr krauses Haar wird von dem Kerzenschein auf der Fensterbank umglüht, die Haut am Hals ist erschütternd weiß, und Wolf, dem der Apotheker gerade gesagt hat, dass er ein »Goethe-Fan« und jedes Jahr in Weimar sei, greift nach ihrer Hand, den rastlosen Fingern, und fragt sie leise, ob sie sich langweile und lieber nach Hause möchte? Doch sie schüttelt nur den Kopf; eine Locke fällt ihr in die Stirn, und das Lächeln kommt ihm unsicher vor und spöttisch zugleich. Ein verstörendes Lächeln, denn eigentlich bewegt sie nur einen Mundwinkel; sie wölbt die Oberlippe etwas hoch, und man kann die Eckzähne sehen in dem flackernden Licht, ihren glänzenden Schmelz. Ruhig entzieht sie ihm die Hand.
    Ohne jedes Interesse für den über Dreißigjährigen scheint sie zu sein und in jedem Fall zu keusch für ihn. Draußen hat es geschneit, und im Auto, einem klapperigen Kleinwagen, bleibt es lange kalt. Einsilbig ist sie, den Blick starr auf die Straße gerichtet. Sie muss sichkonzentrieren in den abschüssigen Kurven im Wald und auf den Talbrücken, wo der Wind das Eis poliert hat wie Glas. Immerhin erfährt er, dass sie demnächst ihre Prüfung macht, aber nicht weiter als Buchhändlerin arbeiten will. Germanistik möchte sie studieren, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft, in Köln. Das Zimmer im Studentenheim sei schon reserviert. Er legt seine Hand so, dass ihre sie berühren muss, wenn sie schaltet. Doch irgendwie kann sie das verhindern; ihre Zunge erscheint zwischen den Lippen, als sie auf den Parkplatz vor dem Standesamt biegt. Der Magnolienbaum ist noch kahl. »Mein Verlobter studiert übrigens auch in Köln«, sagt sie. »Betriebswirtschaftslehre. Er wird dann das Reisebüro seiner Eltern führen.«
    Alles klar, doch Wolf steigt nicht gleich aus, die Heizung ist in Gang gekommen. Er tut interessiert und möchte sie hinaufbitten, auf einen Kaffee, einen Cognac; er hat Angst vor dem trostlosen Hotelgefühl nach solchen Veranstaltungen, der Stunde zwischen kalten Laken; doch findet er keine Worte, die besser als eindeutig wären. An einem Aufkleber am Armaturenbrett knibbelt er herum, einer weißen Taube auf blauem Grund, und als er anbietet, ihr die Räume der Villa zu zeigen, den denkmalgeschützten Stuck voller Früchte, Putten, Rosen, ist da wieder dieses Lächeln, jetzt mit eindeutig frivoler Note. »Ich kenne die Räume«, sagt sie und schiebt den Rückwärtsgang ein. »Mein Vater hat sie restauriert.« – Obwohl er stehen bleibt vor dem Haus und zusieht, wie sie den Wagen wendet, beachtet Alina ihn nicht, als sie an ihm vorbeifährt. Sie wischt mitdem Handrücken über die beschlagene Scheibe und konzentriert sich auf die Straße.
    Damals hielt er sich zwar nicht für humorlos, doch sicher fehlte ihm der Sinn für das Spielerische, das möglich und manchmal auch nötig ist zwischen den Geschlechtern. Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, als ihm klar wurde, dass er trotz seiner Scheu auf Frauen
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