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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht
Autoren: Ralf Rothmann
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in ihrem Gesicht und fragt sich einen melancholischen Moment lang, was er ihr denn geboten hat in all den Jahren außer seinen Spleens und Neurosen und der welker werdenden Haut. Nichts hat er ihr geboten, dieser wunderbaren Frau, und als er schließlich nickt und ihr einen Arm um die Schultern legt, donnert eine Maschine der Lufthansa über das Dach.

    Erinnerung, auch und gerade die gewollte, ist selten wahr; sie gaukelt uns vor, etwas liege hinter uns und sei vorbei. Doch mit dem Horizont nimmt die Ahnungzu, dass Zeit nichts ist, was sich bewegt; alle Zeit meint vielmehr Gleichzeitigkeit, was vermutlich schon deswegen stimmt, weil es unser Verständnis übersteigt. Wer weiß, in den Traumtiefen dieses Augenblicks passiert vielleicht das Mittelalter, die Antike, die Zukunft in Maschinen aus Gedankenkraft und Licht; in diesem Moment juckt mich ein Mückenstich, während Plotin sich kratzt und mir irgendwer mit einem Zwinkern seine Software überspielt. Wie es auch sei, Erinnerung ist jedenfalls nicht das Mittel, um aus dem eigenen Leben ein Kunstwerk zu machen. Dazu fehlt es ihr an Vollkommenheit.
    Mit der Liebe sieht es da schon anders aus. Zögernd hatte es begonnen mit ihnen, nahezu klassisch: der Autor und die Buchhändlerin. Er hatte gerade debütiert und für seine Lyrik und eine Erzählung ein Jahresstipendium im Sauerländischen bekommen. Dazu gehörte eine Wohnung in einer städtischen Villa, in der auch das Standesamt untergebracht ist; Marmortreppen, weitläufige Räume, große ovale Fenster mit Blick auf Hügel und Wälder. Es schneit oder regnet viel hier, fast ununterbrochen, immerzu hängen Wolkenfetzen zwischen den Wipfeln der gewaltigen Tannen, und der einzige Lichtblick ist die Einkaufsstraße im Tal. Doch der Glutstrom trügt; die Menschen tragen Grau oder Beige, oder beides; auch die Schuhe sind grau oder beige. Und natürlich bezieht er den Missmut in den Mienen der meisten auf sich; er kriegt Unsummen an Steuergeldern für ein paar Gedichte, die sich nicht einmal reimen, und sie müssen ihre Münzen zählen im Penny-Markt. Ein Handwerker schiebt ihm den Einkaufswagen in dieHacken, mehrfach; aufrücken soll er, näher zur Kasse, und als er zwar protestiert, es aber dennoch tut, sagt der andere: »Na bitte, geht doch …«
    Er gibt sich grüblerisch und arbeitsam, spricht von seinem ersten Roman und liegt in Wahrheit nur auf dem Sofa und starrt in den verhangenen Himmel, Monate. Erwartet wird wenig. Ab und zu soll er aus seinen Texten lesen, im örtlichen Rotary-Club zum Beispiel, in der Leihbücherei, im Kulturzentrum der Nachbarstadt, einer ehemaligen Wassermühle mit klapperndem Rad. Dennoch ist seine Depression oft so lähmend, dass es ihm schwerfällt, die Teetasse an den Mund zu führen. Das Schreiben ist ein Glück von Jugend an, trotz aller Mühe. Das Schriftstellersein dagegen, jedenfalls in der Öffentlichkeit, ist kaum erträglich. Dass er etwas zu sagen haben soll über seine Texte hinaus, empfindet er als Zumutung, und wenn er dann nur stammeln kann, schürt das am ehesten bei ihm selbst den Verdacht, dass er wohl doch kein richtiger Autor ist: Der Brauereibesitzer weist ihn auf einen problematischen Genitiv hin, der Studienrat hat alles schon mal gelesen, und seine Frau fragt ihn, ob er jenes Gedicht von Schiller kenne, das da anhebt: »Größeres wolltest auch du …« Interessiert sieht man ihm beim Signieren seines Buches zu, und prompt verkrampfen sich die Finger so, dass er den Namenszug nicht zu Ende bringt. Will er dem aber zuvorkommen, indem er schwungvoller beginnt, mit großen Anfangsbuchstaben, reicht der Platz nicht aus.
    Die Mühle klappert, und der Veranstalter blickt auf die Uhr. Er betreibt eine Versandbuchhandlungnebenan, mit einer beachtlichen theologischen Abteilung, Devotionalien inbegriffen. Zeitgenössische Literatur verkauft er wenig, am besten gehen Gartenbücher. Sieben Zuhörer haben sich eingefunden, und er hat noch einen Termin und stellt ihm die Auszubildende hinter dem Verkaufstisch vor, Alina. »Die bringt sie später nach Haus.« Sie nickt ihm zu, scheint verlegen, aber ihre Hand ist warm und weich und angenehm trocken. Ihr volles rotes Haar trägt sie im Nacken zusammengebunden, in der zarten Stimme ist etwas, das ihn an Rispengras erinnert, und gefragt nach ihrem ungewöhnlichen Vornamen, erwähnt sie eine lettische Urgroßmutter. Ein zerlesenes Exemplar seines Gedichtbandes hat sie dabei, und als sie ihn um eine Widmung bittet, schreibt er »Danke
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