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Der Angeklagte: Thriller (German Edition)

Der Angeklagte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
Autoren: John Lescroart
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Prolog
    Felicia Nuñez sah ihn auf der anderen Straßenseite: An der Haltestelle, an der sie gewöhnlich ausstieg, lehnte er gegen eine Hauswand. Ihr Puls begann zu rasen, ihr Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren. Sie drehte sich weg, als sich die Tür der Straßenbahn öffnete, und setzte sich auf eine der seitlichen Sitzbänke gleich neben dem Fahrer.
    Als die Straßenbahn wieder anfuhr, warf sie aus den Augenwinkeln noch einmal einen Blick auf ihn.
    So er es denn wirklich war. Zumindest sah er ihm täuschend ähnlich. Die Frisur war anders, die Haare länger, seit sie ihn das letzte Mal im Gerichtssaal gesehen hatte, aber es war seine Körpersprache, die ihn verriet: Er hatte ein Bein gegen die Hauswand gestemmt, die muskulösen weißen Arme über der Brust verschränkt.
    Sie wusste, warum er hier war. Er wartete. Wartete auf sie.
    Damals hatte sie ihn überall gesehen, selbst wenn der gesunde Menschenverstand ihr sagte, dass er sie beim besten Willen nicht aufspüren könne. Sie war ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden. Niemand wusste, wo sie wohnte. Es war schlechterdings unmöglich, dass etwas passieren konnte, und doch: In den ersten ein, zwei Jahren kam es ihr jeden Tag so vor, als würde sie ihn irgendwo sehen.
    Aber heute?
    Dieses Mal war er es wirklich . Die anderen Male war es immer jemand gewesen, der sie an ihn erinnert hatte. Manchmal waren es die Haare, manchmal die Arme oder der Körperbau. Heute aber passte alles zusammen, diesmal war es nicht ein Mosaik ähnlicher Körperteile, die sie in ihrer Fantasie zu dem Monster zusammensetzte, das dieser Mann in Wirklichkeit war.
    An der nächsten Haltestelle stieg sie aus. Sie hörte noch, wie sich die Tür hinter ihr schloss, wie die Bremsen gelöst wurden, wie sich die Straßenbahn schleifend in Bewegung setzte und sie allein am Bürgersteig zurückließ.
    Sie wollte nicht unnötig Geld ausgeben, und ihr war klar, dass sie für die Tasse Kaffee zu Hause nichts ausgeben musste, aber falls er noch immer dort lauerte und auf sie aufmerksam wurde, dann könnte er, nein, dann würde er …
    Sie konnte es sich nicht vorstellen.
    Doch, sie konnte es sich sehr gut vorstellen.
    Sie ging in ein Starbucks und bestellte einen Kaffee – auch wenn er die Hälfte des Stundenlohns kostete, den sie bei der Reinigungsfirma bekam, bei der sie glücklicherweise untergekommen war. Aber sie musste jetzt einfach ruhig sitzen und ihre Gedanken ordnen – und ihm vielleicht die Zeit geben, sich von ihrem Haus zu entfernen. Falls er denn wirklich wegen ihr dort stand.
    Wie um alles in der Welt hatte er sie aufgespürt?
    Sie setzte sich ans Fenster, wo sie ihn sehen konnte, falls er zwischen den Fußgängern auftauchen sollte.
    Der erste Schluck verbrannte ihre Zunge, und der unerwartete Schmerz schien ihre Widerstandskräfte zu überrollen. Sie setzte den Pappbecher ab und versuchte, die Wogen der Erinnerung herunterzuschlucken, die plötzlich über sie hereinbrachen.
    Bastardo! , dachte sie nur. Der Bastard hat mein Leben zerstört.
    In ihren Gedanken war sie plötzlich wieder achtzehn.
    Sie strahlt über das ganze Gesicht, als sie das Schulgebäude verlässt. Zweimal pro Woche bekommt sie hier Englischunterricht, der von den Curtlees bezahlt wird und Teil ihrer Arbeitsvereinbarung ist. Sie ist den ganzen weiten Weg hierhergekommen, um für die Curtlees zu arbeiten; die kümmern sich im Gegenzug um ihre Papiere und helfen beim Erlernen der Sprache. Eines Tages wird sie amerikanische Staatsbürgerin sein – und ihre Kinder werden eine Ausbildung bekommen und ein Leben in Freiheit führen.
    Sie kann ihr Glück kaum fassen, nach all der Armut in Guatemala, nach dem Tod ihrer Mutter, der sie zu einem 17-jährigen Waisenkind machte. Aber jetzt – jetzt ist der Traum Wirklichkeit geworden. Seit fünf Monaten ist sie nun hier, und obwohl sie anfangs Sklaverei und Ausbeutung befürchtete, ist nichts davon eingetroffen.
    Um den Sohn mit seinen grapschigen Händen muss sie einen Bogen schlagen, aber die Curtlees selbst sind offensichtlich genau das, was sie im Vorfeld zu sein schie nen: grundgute Menschen, unsagbar wohlhabend obendrein, die aus reiner Menschenliebe junge Latinas hierher bringen und ihnen Arbeit geben.
    Es war eine Fügung des Schicksals, dass ihr Kontaktmann in Guatemala gerade auf sie gestoßen war.
    Beim Gehen hat sie den Kopf gesenkt, weil die Sonne an diesem warmen Herbstabend schon tief steht und sie blendet. Sie trägt ein weißes Baumwollkleid und rote
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