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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht
Autoren: Ralf Rothmann
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tragen sie Pelzmützen mit rotem Stern und Ohrenklappen, und man sieht ihren Atem. Doch sie reagieren nicht, wenn ausgelassene Touristen ihnen zuwinken oder Betrunkene etwas durch die schmalen Oberlichter der Bahn grölen oder gar eine Banane hinauswerfen. Das Gewehr geschultert, stehen sie stumm zwischen den Säulen und Trägern, mustern jeden Waggon, und die Jungen sehen traurig aus, hilflos in ihrer Autorität, und die Älteren, vor verleugneter Sehnsucht, böse. Besonders dem einen oder anderen Offizier, die Brauen gerunzelt über einem Blick aus Stahl, glaubt man das gedachte »Wartet nur!« anzusehen, den Wunsch nach Vergeltung, wenn sich so ein glänzend gelber, triumphierend heller Zug durch seine unterirdische Republik schiebt: wie ein Schmerz durch alte Venen.
    Nach ein paar Monaten am Rhein konnte Alina mit einer Studentin aus dem Wedding tauschen und hat fürs erste auch ihre Wohnung übernommen, ein Zimmer, Küche, keine Dusche. Eine trostlosere Gegend wird einem kaum zustoßen, kommt man gerade nach Westberlin. Ratten, Metalltüren, überquellende Müllcontainer. Die engen Hinterhöfe stinken nach feuchten Mauern und Kohlenrauch, immer wieder scheißen die Hunde der Nachbarn ins Treppenhaus, und sie benutzt das Hallenbad zwei Straßen weiter und geht im Winterfrost mit nassen Haaren um den Block. Wie geplant studiert sie Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte, und um das zu finanzieren – die Eltern können ihr nur wenig geben –, arbeitet sie manchmal in einer Maschinenfabrik, Bleche stanzen im Akkord; oder sie fährt in den Semesterferien nach Westdeutschland, in den Krefelder Raum, und stopft zwölf Stunden täglich Gurken in Gläser. »Ohne Handschuhe«, sagt sie und zeigt ihm ihre ausgelaugten Finger. »Und in der Toilette gibt es keine Seife.«
    Sie hat Freunde in Berlin, Leute aus dem Sauerland, und lebt ihr Leben, ohne dass er viel daran teilnimmt. Er schreibt nun tatsächlich an seinem ersten Roman, und weil er seinem Talent misstraut, rettet er sich in die Disziplin. Sie sehen einander nur an den Wochenenden, meistens in Kreuzberg, in seiner stillen Dachwohnung. Sie packen sich den Kühlschrank voll und treten erst am Montag wieder vor die Tür. Oder er fährt zu ihr, um die korrigierten Bögen der Erstfassung in ihrem Kachelofen zu verbrennen und anschließend für sie zu kochen. Lange Zeit hat erin Kneipen und Großküchen gejobbt; die Arbeit am Herd geht ihm schnell und leicht von der Hand, und weil er für ein Lächeln kocht, für die Freude in ihrem Gesicht, gelingt manches, obwohl es ihm nie so gut vorkommt wie ihr, die sich hauptsächlich von Dönern und Äpfeln ernährt. Zudem ist das Kochen mehr als eine nötige Verrichtung für ihn; auch wenn kaum noch etwas schmeckt wie in der Kindheit, als die Eltern Erbsen und Rhabarber aus dem Garten holten, und das Brettchen, auf dem man frische Pilze schneidet, nachher aromatischer riecht als die Pilze selbst – die Aufmerksamkeit, die Lebensmittel und ihre Zubereitung einem abverlangen, wirkt beruhigend und innerlich ordnend schon dadurch, weil es hier endlich einmal nichts am Sinn des Tuns zu zweifeln gibt.
    Dass Alina seinetwegen nach Berlin gekommen ist, wird nicht ausgesprochen und ist doch klar; die Verlobung wurde gelöst. Dass er ihretwegen etwas ändert in seinem Leben, scheint sie nicht zu erwarten. In einem schwarzen Etuikleid kommt sie zu ihm durch die halbe Stadt, und darunter trägt sie nichts. Sie zeigt auf die Wand, auf seinen schlanken Schatten mit dem Horn, und dreht die Nachttischlampe so, dass es noch wächst. Er liebt die freche Gefügigkeit, mit der sie die angewinkelten Knie schon spreizt, sobald er an den Bettrand tritt. Er liebt es, die Wange an ihren harten und doch elastischen Brustwarzen zu reiben und dann über ihr zu sein wie bei einer Liegestütze: die Arme straff und den Körper von den Zehen bis zu den Schulterkugeln gespannt, während sie ihn langsam, sehr langsamund mit sachlicher Neugier, melkt. Dabei gebraucht sie zunächst nur ihre Fingerspitzen, dann die Faust, und wie bei keiner Frau zuvor genießt er das Gefühl des druckvoll aus ihm herausschießenden, Tage für sie aufgesparten Samens – und dass sie keucht vor Freude über die Macht, die er ihr gibt. Um dann die Arme um seinen Nacken zu legen und ihn sanft und flüsternd auf sich zu ziehen.
    Nur hier ist er wirklich zu spüren, der Altersunterschied zwischen ihnen. Für Alina, auf deren Schulbild an der Fotowand der Lehrer lange
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