Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte
Autoren: Gaetano Cappelli
Vom Netzwerk:
hasste ich sie wirklich. Ich nahm das Manuskript von dem Tisch, auf den sie es geknallt hatte, und wollte schon gehen, aber aus einem unwiderstehlichen Impuls heraus drehte ich mich an der Tür um und fragte: »Was genau habe ich denn falsch gemacht, Cybill?«
    Sie blickte mich fragend an.
    »Im Roman«, ergänzte ich und hob ihn ein wenig hoch.
    Wütend schüttelte sie den Kopf. »Bei der ganzen Liebe, die du angeblich für mich empfindest, denkst du nur daran … Raus !«, schrie sie. Dann faltete sie ihre schönen Hände über der Nase - ihrer schönen Nase. »Ich muss ruhig bleiben, die Leidenschaften vertreiben, meditieren …«, hörte ich sie flüstern, während ich mich wie ein geprügelter Hund davonschlich.

    Sobald ich am Ufer des Sankt-Lorenz-Stromes angelangt war, schoss ich die Signalrakete ab. Keine zwanzig Minuten waren vergangen, als ich das Kanu näher kommen sah und das übliche Liedchen durch die Luft krächzen hörte; außerdem registrierte ich das spöttische Lächeln, mit dem Little Bear mich begrüßte.
›Verdammt, jetzt bekommst du gleich etwas zu lachen, du kleiner Scheißbär‹, dachte ich.
    Er musste meine Gedanken gelesen haben, denn er sagte tatsächlich: »Ich war mir sicher, dass du zurückkehren würdest.«
    »Tja, ihr Indianer könnt die Zukunft voraussagen, das sieht man ja immer in den Western«, grinste ich.
    »Manchmal«, antwortete er belustigt. »Aber wenn man Whiteagle kennt, ist das nicht nötig. Als du gesagt hast, dass du dein Mädchen zurückholen willst und wer dein Mädchen ist, habe ich dich gleich für einen armen Spinner gehalten.«
    »Ach ja? Und warum hast du mir das nicht gesagt?«
    »Warum? Hättest du es denn nicht trotzdem versucht?«
    Seine Argumentation war dermaßen schlüssig, dass ich es erneut versuchen würde, sobald Whiteagle am Horizont auftauchte, auch wenn die Hoffnung, Cybill zurückzubekommen - nach der Szene am Schluss zumal - gleich null war. »Ich brauche ein Zimmer in deinem Hotel«, sagte ich, vor Wut schäumend.
    »Wir sind ausgebucht«, erwiderte er.
    »Aber in diese Hütte verirrt sich doch kein Hund!«, sagte ich und versuchte, nervös, wie ich war, ihn mit einem Paddel nass zu spritzen, verlor aber das Gleichgewicht und kippte beinahe ins Wasser. Little Bear lachte von ganzem Herzen und sagte: »Schon gut, einverstanden, irgendein Loch finde ich schon für dich.«
    Ich verbrachte dreiundzwanzig Tage in diesem »Loch«, einem nach Norden gelegenen Kämmerchen unter dem Dach. Dort herrschte eine Eiseskälte, aber wenigstens bekam ich kaum etwas mit von dem Remmidemmi, das sie bis spät in die Nacht unten veranstalteten. Das Lost Caribou war wirklich proppenvoll, beziehungsweise es füllte sich im Laufe der Nacht. Pelzjäger, Schmuggler, Holzfäller, Vietnamdeserteure, steckbrieflich Gesuchte, Huren - Letztere in großer Zahl, allesamt Inuit, sanft und sinnlich wie chinesische Huren - zum näheren Kennenlernen.
    »Die Algonkin-Frauen machen so etwas nicht«, teilte mir Matthew mit einem gewissen Stammesstolz mit. »Den Inuit haben
es ihre vielgehörnten Ehemänner angewöhnt. Wenn man in eines ihrer Dörfer gekommen ist, haben sie einem ihre Frauen angeboten, weil die Gastfreundschaft es so gebot. Der Unterschied ist, dass sie mittlerweile Geld dafür verlangen.« Unglaublich, dieser kleine Bär. Er dachte wie jedes männliche Wesen in meiner Heimat, ja, er wiederholte dieselben Wörter und sogar Sprichwörter. Ich erzählte ihm, dass Cybill Whiteagle fragen würde, ob sie zu mir zurückkehren dürfe, und darauf sagte er wörtlich: »Das ist, als wollte man der Katze das Mausen abgewöhnen.«
    »Was kann ich also tun?«
    »Sehr wenig, mein Freund. Whiteagle ist eine harte Nuss und deine Cybill genau die richtige Person für ihn: reich, labil und unterwürfig. Eine Henne, die goldene Eier legt. Warum sollte er sie loslassen? Whiteagle Spencer lebt davon … Und wer weiß schon, wie er wirklich heißt und wo er wirklich herkommt? Er ist ein Weißer, blond und um die vierzig, und das ist auch schon alles, was man mit Sicherheit weiß. Was das Übrige anbelangt … Fehlanzeige. Es geht das Gerücht, dass er als Säugling von einem unserer Schamanen aufgelesen wurde, nach einem Flugzeugunglück, aber er spricht Algonkin, wie du es nach einem Jahr beherrschen würdest. In Wahrheit ist er ein Schaumschläger und versteht es bestens, seinen Schaum zu verkaufen, keine Frage. Die Reichen nimmt er aus, aber er macht sie glücklich. Ich sehe sie, wenn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher