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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte
Autoren: Gaetano Cappelli
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wollen. Dann doch lieber hier stranden!
    Also wartete ich, dass die Geigen und das Akkordeon mit ihren Polkas aufhörten - auch die Musik ähnelte der meiner Heimat -, und sobald ich die schwermütigen Balladen Akadiens hörte, die ich auf meinem Irrweg durch den Wald mit den Rufen der Nachtvögel verwechselt hatte, torkelte ich - da ich mich über Gides goldene Regel »Betrink dich beim Schreiben, bleib nüchtern beim Feilen« hinweggesetzt hatte - nach unten, wo mich Little Bear in Empfang nahm und mir das Beste aus seiner Kollektion chinesisch anmutender Nutten anbot, und in ihrer Gesellschaft verbrachte ich den
Rest der Nacht. Bis ich eines Morgens von einem fernen Dröhnen geweckt wurde. Ich schüttelte mir die Glückliche, die es gerade getroffen hatte, vom Leib, und schon auf dem Weg zum Fenster sah ich den silbernen Punkt am weißen Himmel.
    Als ich in Chakawaka Rise ankam, lag es verlassen da, aber im dichten Unterholz des Waldes tanzten seltsame Lichter. Mit zitternden Beinen schlug ich diese Richtung ein und traf sogleich auf eine kleine Gruppe von Leuten, die beim Laufen Fackeln schwenkten. Ich folgte ihnen bis zu einer Lichtung, in der sie schweigend einen Halbkreis bildeten und die Fackeln im Schnee löschten, dass es nur so zischte. Dann war es, als durchliefe das Feuer eine unterirdische Bahn, um mit einem leisen Geräusch und einem tausendmal intensiveren Licht am gegenüberliegenden Punkt wieder aufzutauchen - von wo nun ein Regenbogen aufstieg. Und genau dort stand in einem weißen Gewand, den Rücken uns zugewandt und die Arme ausgebreitet, Whiteagle Spencer.
    Ich trat mit den anderen in den Regenbogen und spürte, wie ich mich in seinem hellen, irisierenden Licht spiritualisierte. Zweifellos handelte es sich um eine Inszenierung, aber es war eine grandiose Inszenierung: Das war Kunst. Reine Kunst . Ich versuchte gar nicht erst, hinter den Trick zu kommen, während ich das Gefühl der Leichtigkeit genoss und ein feiner prickelnder Nebel mir über das Gesicht strich. Ich wollte nur mein Glück im Blick eines anderen Menschen spiegeln. Der spindeldürre Typ mit Schnurrbart rechts von mir war glücklich. Die langhaarige Nymphe zu meiner Linken war glücklich. Cybill , rief ich. Sie blickte mich verträumt an, und ich wusste, dass ich sie für immer verloren hatte, und genau in diesem Augenblick ließ Whiteagle die Arme sinken, und das wunderbare Licht verlosch. Jetzt herrschte Stille. Man hörte nur das Rauschen des Windes in den Bäumen und Cybills Stimme, die leise flötete: »Ich brauche deine Hilfe, Meister.« Ich sehe, wie sie an ihn herantritt, sich niederkniet, und auch ich trete näher. Sie sagt: »Er ist zurückgekehrt.« Sie fragt: »Ist es richtig, wenn ich ihn noch immer liebe?«, worauf er, den Rücken immer noch uns zugewandt, energisch
den Kopf schüttelt, drohend eine Hand hebt und sich endlich umdreht.
    Obwohl Jahre vergangen sind, erkenne ich ihn sofort wieder, und danach zu schließen, wie er mich ansieht, erkennt auch Pit mich sofort wieder. Er legt mir die drohende Hand jetzt wohlwollend auf die Schulter und nickt Cybill nachdrücklich zu. Dann lächelt er mich an, und wie im Traum höre ich seine Stimme auf Italienisch sagen: »Und Silvia? Was ist aus Silvia geworden?«

Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
    »Parenti lontani« bei Marsilio, Venedig.

    Die Arbeit der Übersetzerin an diesem
Roman wurde gefördert vom
Deutschen Übersetzerfonds e.V.

    1. Auflage
    Copyright © 2008 by Marsilio Editori spa Venezia
    Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
beim C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
    eISBN : 978-3-641-04486-2

    www.cbertelsmann.de
    www.randomhouse.de
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