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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte
Autoren: Gaetano Cappelli
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einen vollkommen überflüssigen Blick auf die Karte geworfen hatte, marschierte ich los, hatte aber höchstens ein paar Kilometer zurückgelegt, als ich ein Dröhnen hörte: ein anderer Motorschlitten, sagte ich mir hoffnungsfroh. Es war aber noch besser, denn es handelte sich um einen Hubschrauber, der sogar so tief flog, dass ich den Typ am
Steuerknüppel sehen konnte, aber sosehr ich auch brüllte und die Arme schwenkte - er wich nicht von seiner Route ab. Ich fluchte ihm noch hinterher, als sich der Wald plötzlich zu einer Lichtung öffnete. Am hinteren Ende blinkte ein Schild - ich war also Gefahr gelaufen, in nächster Nähe zu einer Schutzhütte zu erfrieren.
    Der Besitzer, ein Algonkin-Indianer dieses Mal, schimpfte telefonisch auf den Inuit ein - eigentlich wetterte er über alle Inuit -, weil er es zugelassen hatte, dass ich im Wald mein Leben aufs Spiel setzte. Dann legte er den Hörer auf und reichte mir die Tageskarte. Ich las: »Lost Caribou - Touristic Center. General Manager: Matthew Little Bear«, und auf der letzten Seite fand ich die nach Größe und Lage gestaffelten Zimmerpreise, und er fragte mich, wie jemand so verrückt sein könne, hierherzukommen, um in dieser trostlosen Ödnis auch nur einen einzigen Tag zu verbringen. Schließlich servierte mir der General Manager höchstpersönlich Eier mit Speck, geschmolzenen Käse und, als einzige exotische Komponente, Karibuschinken, dazu ein paar Gläser Bier. Mit ebenso vielen Bourbons begleitete ich das Stück Apple Pie, das der General Manager frisch aus dem Ofen geholt hatte. Beim Essen erklärte ich ihm den Grund meiner Reise, und am Ende blickte er mich versonnen an. Die Indianer haben immer diesen Ausdruck, sagte ich mir, als ich die unbewegliche Maske sah, auch wenn Matthew Little Bear - um die dreißig, klein, hager und so tapsig, wie sein Name andeutete - mit seiner eingetönten kleinen Brille, dem aus der Unterlippe sprießenden Spitzbart und dem abgebrochenen rechten Schneidezahn eher an einen Freak erinnerte. Trotzdem reagierte er wortkarg, als ich ihn nach Whiteagle fragte und danach, was für ein Typ das sei. Er beschränkte sich auf ein: »Der weiß, wo der Hase im Pfeffer liegt.«
    Das sagt man auch in meiner Heimat, und so brauchte er mir diese Redensart nicht zu erklären. Er musste mir aber etwas anderes erklären, nachdem ich ihm schweigend den kleinen Pfad entlanggefolgt war, der von der Hütte hinunter zu einem niedrigen Landungssteg führte, wo wir in ein Kanu stiegen. Im Schutz des
runden Stevens hatte ich schon angefangen, die Paddel ins bleierne Wasser zu stechen, als ich hörte, wie er sich hinter mir zu schaffen machte, und plötzlich klang - Turlette tete tete turlette turlette - eine schwermütige Melodie durch die Luft. Es war viel mehr als ein einfaches Lied, es war etwas, was aus den tiefsten Tiefen meiner Seele kam. Ich drehte mich um, sah unter einem Brett das kleine, in einer Kiste verstaute Tonbandgerät und blickte den Algonkin fragend an.
    »Das ist das Lied aus Der Weg, der geht «, sagte er und deutete mit dem Daumen auf das Wasser: »Gemeint ist der Sankt-Lorenz-Strom … Wir nennen ihn eben anders.«
    Aber natürlich: Wie viele Male hatte ich es nicht als kleiner Junge in meinem Lieblingsprogramm gehört, und wie ich es mir damals erträumt hatte, saß ich jetzt in einem Kanu auf diesem mythenund legendenumwobenen Fluss. Bei der Erinnerung daran füllte sich mein Herz mit Rührung. Das konnte nur ein gutes Vorzeichen sein, dachte ich, und fing an, fröhlich vor mich hin zu trällern.
    Nach der ungefähr zwanzig Minuten dauernden Fahrt über den Fluss setzte mich Matthew Little Bear am anderen Ufer ab, knöpfte mir für seine Bemühungen dreihundert kanadische Dollar ab und deutete auf das Häuschen auf dem Landungssteg: »Da drinnen findest du Leuchtraketen. Wenn du eine abschießt, komme ich und hole dich ab. Jetzt folge nur immer diesem Weg. Dieses Mal kannst du dich wirklich nicht verlaufen.«
    Seiner beruhigenden Aussage zum Trotz stapfte ich eine Stunde durch den weichen Schnee, und mich beschlichen schon Zweifel, als ich hinter einer langen steilen Schneewehe Chakawaka Rise auftauchen sah. Es waren etwa zwanzig Holzhäuser an einer Straße, und kaum war ich diese eingebogen, sah ich in dem kalten Licht jemanden aus einer Tür heraustreten. Es war Cybill, und sie blickte mich an. Schwarz gekleidet und mit einem Häubchen auf dem Kopf bot sie keinen umwerfenden Anblick, doch sobald ich in ihrer Nähe
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