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Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte
Autoren: Gaetano Cappelli
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sie kommen. Wenn sie in mein Kanu steigen, sind sie Zombies. Nach ein paar Wochen fahren sie dann wie neugeboren nach Hause zurück. Zumindest diejenigen, die zurückfahren - denn es gibt eine kleine Gruppe, die ihm überallhin folgt, und du kannst Gift darauf nehmen, dass es immer die Reichsten sind. Er ist ein geschickter Organisator und kümmert sich selbst um das kleinste Detail: Sogar für das Lied aus Der Weg, der geht werde ich von ihm bezahlt. Er hat da und dort ein Ritual geklaut, andere hat er selbst erfunden, und ihnen macht das Spaß. Und er hat auch seinen Spaß. Ab und zu verschwindet er - angeblich auf der Suche nach Energie. Einer der Jungs von hier hat mir erzählt, er habe ihn einmal in Miami in einer Corvette gesehen,
zwischen zwei drallen Mexikanerinnen - ein schönes Plätzchen zum Energietanken, oder?«, endete er lachend.
    Ich fand daran nichts zum Lachen, im Gegenteil. Je mehr ich über Whiteagle erfuhr, umso verzweifelter wurde ich. Ich verbrachte die Abende damit, dem Gerede über ihn zuzuhören. Jeder Gast im Lost Caribou hatte eine Geschichte parat. Es gab einen Whiteagle, der dem gegenwärtigen ähnelte und von einer Wölfin gesäugt worden war - nein, von einer Hirschkuh -, aber was sagst du da, es war eine Bärin. Sein erstes Wunder hatte er im Alter von sieben Jahren - fünf Jahren - gewirkt, indem er mit der bloßen Kraft seines Blickes eine Squaw vor einem Grizzly gerettet hatte - nein, es war ein wütender Elch gewesen. Er hatte Leute von der Paralyse - aber nein, von der Leukämie, nein, von der Syphilis, es war die Syphilis -, kurzum von jeder Art von Krankheit geheilt, Dutzende und Aberdutzende von Leuten, aber trotzdem hatte er, weil ihm die Magie der Algonkin nicht genügt hatte, die Gipfel des Himalaja erklommen, um ein noch pochendes Adlerherz jenem Lama zu überreichen, der ihn dann in die geheimnisvollsten Geheimnisse der tibetischen Esoterik eingeweiht hatte, darunter die Levitation, die Materialisation von Gegenständen, die Gedankenübertragung und die Fähigkeit, Regenbogen zu erzeugen - das Wunder, mit dem er seine größten Erfolge erzielte. Dann gab es noch einen anderen Whiteagle, der Einbrecher in London gewesen war, Jazzmusiker in Paris, CIA-Agent in Kairo, Zuhälter in Rio und Buchmacher in Las Vegas, bevor er sich schließlich ganz neu erfand. Ich hörte wirklich viele solcher Geschichten. Unter den Leuten, die sie mir erzählten, waren Typen von der übelsten Sorte, Gestrauchelte, Abenteurer, richtige Kriminelle - warum sollten sie sich sonst an einem solchen Ort verkriechen? -, aber auch einfache Menschen wie Fischer oder Holzfäller. Für alle aber war Whiteagle, ob sie nun an seine Kräfte glaubten oder nicht, ein ausgemachter Gauner, und ausgerechnet in den Händen dieses Gauners lag jetzt meine Zukunft.
    Hätte ich mir diese Geschichten weiter angehört, hätte ich ein Buch darüber schreiben können; allerdings hatte ich bereits eines
zu beenden. Ich verbrachte die langen Vor- und Nachmittage in meinem Kämmerchen, um es zu überarbeiten, und während jetzt von unten der Lärm der Musik zu mir heraufdrang, brütete ich auch in der Nacht darüber. Sicher, Cybills Urteil war nur eines von vielen möglichen - und unterschied sich beispielsweise von Charles’ Meinung -, aber es hatte mich getroffen. Was genau stimmte denn nicht? Vielleicht der Teil über Pit? Dort ungefähr hatte Cybill mit dem Lesen aufgehört. Nur den konnte ich nicht weglassen: Pit war zu wichtig, er repräsentierte die Vaterfigur, die in meinem Leben gefehlt hatte. Der ganze Roman war nichts anderes als die Geschichte meines Lebens … Mein Leben : Das war es, was nicht stimmte! Ich war niemals wirklich Herr über mein Leben gewesen. Zuerst Nonnilde, dann Charles, mein großherziger amerikanischer Vetter, und Jennifer, seine noch großherzigere Gemahlin, und Onkel Richard, der Magnat, der zu melodramatischen Rachefeldzügen imstande war: Immer hatte jemand für mich entschieden. Und wenn Cybill, wie es aussah, bei Whiteagle bleiben würde - wenn also letztlich Whiteagle entscheiden würde -, was sollte ich dann machen? Ich sah mich mit der Schaufel in der Hand und mit schweißtriefender Stirn die Firma, die Premiata Olii Superfini , wiederaufbauen, während Inco, die wohlbeleibte süditalienische Witwe, mich schon am Altar erwartete. Nonnilde würde mit ihrem Gelächter die Erde um ihren Sarg herum auflockern, wenn sie mich an dem Platz entdeckte, an dem sie mich immer hatte haben
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