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Zonta-Norm regelwidrig

Zonta-Norm regelwidrig

Titel: Zonta-Norm regelwidrig
Autoren: K. H. Scheer
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1.
     
    »Or­ter­schutz …!« gell­te Lis­ter­mans Stim­me.
    »Or­ter­schutz voll ein!« kam die Ant­wort.
    »Ach­tet mir ja auf den Or­ter­schutz!« schrie Lis­ter­man. »Wenn der aus­fällt, ist die Höl­le los!«
    Es klang zor­nig; aber wer ihn an­sah, be­merk­te das klei­ne Lä­cheln, das um sei­ne Au­gen­win­kel spiel­te. Er war ein ei­gen­ar­ti­ger Mensch: hart bis zum äu­ßers­ten, aber im­mer ein we­nig Ab­stand hal­tend vom so­ge­nann­ten Ernst des Le­bens. Manch­mal ge­wann ich den Ein­druck, es ge­be über­haupt nichts, was er ein­hun­dert­pro­zen­tig ernst nahm … nicht ein­mal das Ster­ben.
    Auf den großen Bild­flä­chen des Mar­s­kreu­zers »1418«, der in Wirk­lich­keit ein Bei­boot ei­nes al­ten mar­sia­ni­schen Schlacht­schif­fes war, zog die tris­te Fel­sein­öde des ir­di­schen Mon­des vor­über. Phan­tas­tisch, wie klar wir je­de Ein­zel­heit des zer­klüf­te­ten Ge­län­des er­ken­nen konn­ten, oh­ne daß von un­ten, von den be­mann­ten und un­be­mann­ten Mond­sta­tio­nen, die der In­ter­es­sen­ver­band der ir­di­schen Groß­mäch­te an­ge­legt hat­te, un­ser Raum­schiff wahr­ge­nom­men wer­den konn­te. Der mar­sia­ni­sche Or­ter­schutz, den wir an Bord der »1418« erst vor kur­z­em ent­deckt hat­ten, mach­te das Fahr­zeug nicht nur un­sicht­bar, son­dern ver­hin­der­te auch, daß es die von den Or­tern be­nütz­ten Ra­dar­wel­len re­flek­tier­te. Man konn­te uns dort un­ten nicht wahr­neh­men, und das war wich­tig für un­se­re Missi­on. Denn die »1418«, das wuß­te man auf der Er­de eben­so wie in den Mond­stütz­punk­ten, be­fand sich im Be­sitz des An­ar­chis­ten Nang-Tai, und je eher es ge­lang, Schiff und Be­sat­zung auf­zu­brin­gen, de­sto schnel­ler war die Mensch­heit von der Dro­hung be­freit, der gren­zen­lo­sen Herrsch­sucht ei­nes Ty­ran­nen an­heim­zu­fal­len.
    Nang-Tai aber, das war ich: Thor Kon­nat, Ge­ne­ral­ma­jor GWA, der von vie­ler­lei ge­wich­ti­gen Über­le­gun­gen da­zu be­stimmt wor­den war, die Rol­le des An­ar­chis­ten an­zu­neh­men und als Er­pres­ser der Mensch­heit auf­zu­tre­ten. Ich saß in ei­nem der be­que­men Kon­tur­ses­sel, die im Hin­ter­grund des Kom­man­do­stands der »1418« so­zu­sa­gen für Zu­schau­er auf­ge­baut wor­den wa­ren. Das häß­li­che, klei­ne, ver­run­zel­te Ge­schöpf ne­ben mir war Han­ni­bal Othel­lo Xer­xes Utan, Ma­jor GWA, der die­ser Ta­ge als Vin­cent D. Rob­bens auf­trat, ein halb­wegs ge­nia­ler Wis­sen­schaft­ler, dem die Ge­nia­li­tät je­doch so schlecht be­kom­men war, daß je­der Me­di­zi­ner ihm al­lein auf sei­nen An­blick hin die geis­ti­ge Un­zu­rech­nungs­fä­hig­keit be­stä­tigt hät­te. Wir tru­gen Mas­ken, nicht nur Han­ni­bal und ich, son­dern auch al­le an­de­ren Mit­glie­der der Be­sat­zung, die von frü­he­ren Be­ge­ben­hei­ten her der Erd­be­völ­ke­rung auf­grund von Fern­seh­über­tra­gun­gen vi­su­ell be­kannt wa­ren – Lis­ter­man zum Bei­spiel, der im Au­gen­blick als Stell­ver­tre­ter des Ma­jors Lobral die »1418« kom­man­dier­te, und selbst­ver­ständ­lich auch Lobral selbst.
    Ei­ner, der der Mas­kie­rung ent­gan­gen war, saß un­mit­tel­bar ne­ben Han­ni­bal und ver­folg­te den Lan­de­an­flug der »1418« mit sicht­ba­rer Ner­vo­si­tät: Fra­mus G. Al­li­son, un­ser ver­kapp­tes Ge­nie, mit schüt­terem, schweiß­ver­kleb­tem, röt­lich-blon­dem Haar. Ei­ne vor­sich­ti­ge Um­fra­ge hat­te er­ge­ben, daß er bei den ir­di­schen Fern­seh­zu­schau­ern kein »Image« be­saß. Man kann­te ihn ein­fach nicht. Eben­falls zu un­se­rer Mann­schaft ge­hör­te Kenji Nis­hi­mu­ra, Uni­ver­sal­wis­sen­schaft­ler, der auf den Ge­bie­ten der Elek­tro­nik, der Soft­wa­re­tech­no­lo­gie und der Me­di­zin in glei­chem Ma­ße zu Hau­se war. Er saß zu mei­ner Lin­ken, und auch er trug kei­ne Mas­ke. Er war der Öf­fent­lich­keit nur ein ein­zi­ges Mal prä­sen­tiert wor­den, und da sie sich an ihn nicht er­in­ner­te, be­stand für ihn kein An­laß, sich zu ver­klei­den.
    Die »1418« über­flog den Ocea­nus Pro­cel­la­rum. Die Um­ris­se des Ring­walls Gas­sen­di ka­men in Sicht.
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