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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer
Autoren: Diana Gabaldon
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Bein, der ihn aufstöhnen ließ.
    »Alles in Ordnung, Jamie?« Ewan, der neben ihm lag, stützte sich auf den Ellbogen. Im Dämmerlicht war sein besorgtes Gesicht nur schwach zu erkennen. Um die Stirn trug er eine blutgetränkte Bandage, und auf seinem Kragen waren rostrote Flecken.
    »Aye, es geht.« Er streckte die Hand aus und strich Ewan dankbar über die Schulter. Ewan drückte sie und ließ sich dann wieder zurücksinken.
    Die Krähen waren wieder da - Kriegsvögel, Leichenfledderer, die sich am Fleisch der Gefallenen gütlich taten. Ebenso unverfroren würden die grausamen Biester auch nach seinen Augen picken, dachte er und spürte überdeutlich seine runden Augäpfel, während das Licht der aufgehenden Sonne seine geschlossenen Lider dunkel und blutrot aufschimmern ließ.
    Vier der Männer hatten sich vor dem einzigen Fenster des Bauernhauses zusammengefunden und unterhielten sich leise.
    »Davonrennen?« fragte einer, während er mit dem Kopf auf die restlichen Männer wies. »Mein Gott, bestenfalls können wir gerade noch humpeln. Und sechs von uns können keinen einzigen Schritt mehr tun.«
    »Wenn ihr laufen könnt, macht euch auf den Weg«, sagte ein Mann, der auf dem Boden lag. Mit verzerrtem Gesicht wies er auf sein Bein, das in die Reste einer zerfetzten Decke gewickelt war. »Laßt euch von uns nicht aufhalten.«

    Mit einem grimmigen Lächeln wandte sich Duncan MacDonald vom Fenster ab und schüttelte den Kopf. Das Licht, das durch die Schlitze in der Mauer fiel, ließ seine vor Erschöpfung zerfurchten Züge scharf hervortreten. »Hier wimmelt es nur so von Engländern. Unversehrt entkommt keiner von Culloden.«
    »Und die schon gestern geflohen sind, gelangen auch nicht weit«, fügte MacKinnon leise hinzu. »Habt ihr nicht gehört, wie die englischen Truppen letzte Nacht im Eiltempo vorbeimarschiert sind? Es wird ihnen ein leichtes sein, unsere ausgezehrten Leute einzufangen.«
    Niemand antwortete ihm. Sie wußten es alle selbst nur zu gut. Viele der Hochlandschotten hatten sich schon vor der Schlacht kaum noch auf den Beinen halten können vor Erschöpfung, Hunger und Kälte.
    Jamie wandte den Kopf zur Wand und betete, daß seine Leute früh genug aufgebrochen waren. Lallybroch lag weit entfernt und in einsamer Gegend; wenn sie eine gute Strecke von Culloden hinter sich gebracht hatten, bestand keine große Gefahr mehr, daß man sie aufspürte. Aber Claire hatte ihm gesagt, daß Cumberlands Soldaten die gesamten Highlands durchkämmen und auf ihrem Rachefeldzug bis in die entlegensten Winkel vordringen würden.
    Bei dem Gedanken an Claire fuhr eine Welle unendlicher Sehnsucht durch seinen Körper. Wenn sie doch hier wäre, ihre Hände auf ihn legen, seine Wunden versorgen und seinen Kopf in ihren Schoß betten könnte! Aber sie war weit fort, zweihundert Jahre weit, dem Himmel sei Dank! Langsam füllten sich seine Augen mit Tränen, und ungeachtet seiner Schmerzen rollte er sich auf die Seite, um sie vor den anderen zu verbergen.
    Lieber Gott, laß sie in Sicherheit sein , betete er. Sie und das Kind.
     
    Am Nachmittag roch es plötzlich nach Rauch. In dicken Schwaden drang er durch das Fenster. Er war beißender als der Qualm des Schwarzpulvers, und sein schwacher Geruch nach gebratenem Fleisch ließ Schreckliches ahnen.
    »Sie verbrennen die Toten«, sagte MacDonald. Seit sie in der Kate Zuflucht gesucht hatten, war er kaum von seinem Platz am Fenster gewichen. Das eingefallene Gesicht und das zurückgestrichene
pechschwarze und schmutzverkrustete Haar ließen ihn selbst wie einen Totenschädel wirken.
    Hin und wieder ertönte über dem Moor ein scharfer Knall. Musketen. Der Gnadenschuß aus den Waffen jener englischen Offiziere, die Mitleid walten ließen, bevor sie die in ihren Tartan gehüllten Körper auf den Haufen zu ihren Landsmännern warfen. Als Jamie wieder aufsah, hatte MacDonald am Fenster die Augen geschlossen.
    Ewan Cameron bekreuzigte sich. »Hoffentlich gewährt man uns die gleiche Gnade«, flüsterte er.
     
    Sie wurde ihnen gewährt. Kurz nach Mittag des zweiten Tages näherten sich schließlich schwere Stiefelschritte. Dann wurde die Tür geräuschlos aufgestoßen.
    »Herrgott!« Ein leiser Ausruf, der dem Sprecher beim Anblick der Männer im Raum wohl gegen seinen Willen über die Lippen gekommen war. Durch die offene Tür drang Zugwind in den Raum und wirbelte die stickige Luft über den zusammengekauerten, blutverschmierten Körpern auf, die auf dem gestampften
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