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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer
Autoren: Diana Gabaldon
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durchnäßt, daß sie fast schon schwarz wirkte. Unbeholfen versuchte Jamie, ihn fortzuschieben, doch er war zu schwach. Kraftlos stieß seine Hand gegen Randalls Schulter, und sein Ellenbogen gab unter ihm nach, als er sich aufstützen wollte. Plötzlich lag er wieder auf dem Rücken und schaute in den verhangenen, blaßgrauen Himmel.
    Jamie preßte die Hände auf den morastigen Boden und rutschte zur Seite. Als er sich von dem leblosen Gewicht befreite, traf ihn der kalte Regen, der ihm auf die Brust prasselte, wie ein Schlag. Er bibberte.
    Er krümmte sich zusammen und kämpfte mit den schmutzverkrusteten, zerknitterten Falten seines Plaids. Plötzlich hörte er über dem heulenden Aprilwind Geräusche - geisterhafte Rufe, Stöhnen und Klagen. Und darüber das heisere Krächzen von Krähen. Von Dutzenden von Krähen, dem Klang nach zu urteilen.
    Seltsam, dachte er. Vögel fliegen nicht bei Regen. Mit einem letzten Ruck zog er das Plaid unter sich fort und hüllte sich darin ein. Als er sich vorbeugte, um die Beine zuzudecken, sah er, daß sein Kilt und sein linkes Bein blutverschmiert waren. Aber das beunruhigte ihn nicht weiter. Langsam erstarben die Laute des Kampfgetümmels in seinen Ohren, und er überließ das Feld von Culloden den krächzenden Krähen.
     
    Er erwachte erst wieder, als jemand seinen Namen rief.
    »Fraser! Jamie Fraser! Bist du da?«
    Nein, dachte er benommen, bin ich nicht. Wo immer er während seiner Ohnmacht auch gewesen war, besser als hier schien es allemal. Er lag in einer kleinen Senke, in der halbhoch das Wasser
stand. Der Regen hatte aufgehört, nicht jedoch der Wind, der immer noch pfeifend und mit Eiseskälte über das Moor fuhr. Der Himmel war inzwischen fast schwarz.
    »Glaub mir, ich habe ihn hier runtergehen sehen. Direkt neben dem dicken Ginsterbusch.« Die Stimmen wurden leiser, als die Männer davongingen.
    Neben seinem Ohr raschelte es, und als er den Kopf wandte, sah er eine Krähe. Wie ein schwarzes Knäuel aus windzerzausten Federn stand sie vor ihm im Gras und betrachtete ihn mit ihren funkelnden Knopfaugen. Offensichtlich beruhigt, daß er keine Gefahr darstellte, verrenkte sie lässig den Hals und hieb ihren dicken, scharfen Schnabel in Jack Randalls Auge.
    Jamie schrie entsetzt auf und fuhr hoch. Mit einem warnenden Krächzen flog die Krähe davon.
    »Aye! Da drüben.«
    Jamie hörte schmatzende Schritte im Sumpf. Dann sah er ein Gesicht und spürte das beruhigende Gewicht einer Hand auf seiner Schulter.
    »Er lebt! Hier herüber, MacDonald. Hilf mir, er kann nicht mehr allein gehen.« Sie waren zu viert, und mit einiger Mühe zogen sie ihn auf die Beine und legten seine empfindungslosen Arme über Ewan Camerons und Iain MacKinnons Schultern.
    Laßt mich in Ruhe, wollte er ihnen sagen, denn mit dem Bewußtsein war die Erinnerung zurückgekehrt. Eigentlich hatte er doch sterben wollen. Aber er freute sich viel zu sehr, sie bei sich zu haben. Während des Schlafes war das Gefühl in sein Bein zurückgekehrt, und jetzt merkte er, wie ernst seine Verletzung war. Er würde ohnehin bald sterben, aber wenigstens mußte er es nicht allein in dieser dunklen Einöde tun.
     
    »Wasser!« Jemand drückte ihm einen Becher an die Lippen, und er konnte sich lange genug hochstemmen, um zu trinken, ohne etwas zu verschütten. Kurz darauf spürte er eine Hand auf seiner Stirn. Aber dann war sie wieder fort, ohne daß ein Wort gefallen wäre.
    In ihm brannte ein Feuer. Sobald er die Augen schloß, spürte er die Flammen. Seine Lippen waren rissig und wund von der Hitze, aber das schien ihm immer noch besser als die Kälte, die ihn in Abständen
schüttelte. Wenigstens konnte er während der Fieberattacken stilliegen; wenn ihn der Schüttelfrost packte, erwachten in seinem verletzten Bein die Dämonen.
    Murtagh! Bei dem Gedanken an seinen Patenonkel hatte er das Gefühl, etwas Schreckliches sei geschehen, aber er konnte sich nicht genau entsinnen. Murtagh war tot, soviel war klar, aber woher wußte er das? Gut die Hälfte der Hochländer war gefallen, hingeschlachtet auf dem Moor - das hatte er aus den Gesprächen der Männer in der Bauernkate entnommen. Aber an die Schlacht selbst erinnerte er sich nicht.
    Aus seinen früheren Kämpfen wußte er, daß eine solche Gedächtnislücke bei Soldaten nicht selten auftrat. Aber die Erinnerung würde zurückkehren - er hoffte nur, daß der Tod ihr zuvorkam. Unwillkürlich bäumte er sich auf. Dabei schoß ein stechender Schmerz durch sein
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