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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer
Autoren: Diana Gabaldon
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lautete sein Angebot, bevor er die Augen wieder schloß.
    »Schweigen Sie!« Melton, der seine Wut nicht mehr zügeln konnte, trat ihm in die Rippen. Jamie stöhnte, sagte aber nichts mehr.
    »Vielleicht sollten wir einen falschen Namen auf die Liste setzen, wenn wir ihn erschießen«, schlug der Leutnant vor.
    Melton warf seinem Adjutanten einen vernichtenden Blick zu.
Dann sah er aus dem Fenster und prüfte, wieviel Zeit ihm noch blieb.
    »In drei Stunden ist es dunkel. Ich kümmere mich darum, daß die Hingerichteten unter die Erde kommen. Holen Sie ein kleines Fuhrwerk und beladen Sie es mit Heu. Suchen Sie einen Kutscher, Wallace, aber einen verschwiegenen, das heißt einen bestechlichen. Sorgen Sie dafür, daß er bei Einbruch der Dunkelheit vor der Tür steht.«
    »Gut, Sir! Äh, Sir, was ist mit dem Gefangenen?« Wallace wies auf das Bündel am Boden.
    »Was soll mit ihm sein?« entgegnete Melton schroff. »Der kann ja kaum noch kriechen. Der entkommt uns nicht - jedenfalls nicht ohne Fuhrwerk.«
    »Fuhrwerk?« Der Gefangene wurde lebendig. In seiner Erregung brachte er es sogar fertig, sich auf die Ellbogen zu stützen. Aus blutunterlaufenen Augen blinzelte er sie erschrocken an. »Wohin schicken Sie mich?« Melton, der bereits die Tür erreicht hatte, warf ihm einen unverhohlen feindseligen Blick zu.
    »Sie sind doch der Herr von Broch Tuarach, nicht wahr? Nun, dorthin geht die Reise.«
    »Ich will nicht nach Hause! Erschießen Sie mich!«
    Die Engländer sahen sich an.
    »Fieberwahn«, sagte Wallace bedeutungsvoll. Melton nickte.
    »Er wird die Fahrt wohl kaum überstehen. Aber wenigstens trage ich dann nicht die Schuld an seinem Tod.«
    Als sich die Tür hinter den Engländern schloß, blieb Jamie Fraser zurück. Allein - und am Leben.

2
    Die Jagd beginnt
    Inverness, 2. Mai 1968
    »Natürlich ist er tot!« Claires Stimme klang schneidend durch das Arbeitszimmer. Bleich wie eine Gefangene, die auf die tödliche Salve aus den Gewehren wartet, stand sie vor der Pinnwand aus Kork und starrte abwechselnd ihre Tochter und Roger Wakefied an.
    »Ich glaube nicht.« Müde strich sich Roger mit der Hand über die Stirn. Dann nahm er den Ordner vom Schreibtisch, in dem er sämtliche Unterlagen abgeheftet hatte, seit Claire und ihre Tochter vor drei Wochen zu ihm gekommen waren und ihn um Hilfe gebeten hatten.
    Langsam blätterte er durch die Seiten. Die Jakobiten und die Schlacht von Culloden. Der Aufstand von 1745. Die Edlen Schottlands, die sich unter dem Banner von Bonnie Prince Charlie gesammelt und sich mit der Kraft des Schwerts durch Schottland gekämpft hatten - nur um auf dem grauen Moor von Culloden gegen den Herzog von Cumberland eine vernichtende Niederlage zu erleiden.
    »Hier«, sagte er und nahm mehrere zusammengeheftete Bögen heraus. Zwischen den schwarzen Rändern, die vom Fotokopierer stammten, wirkte die alte Handschrift eigenartig und fremd. »Dies sind die Musterungslisten aus dem Regiment des Herrn von Lovat.«
    Er streckte die Bögen Claire entgegen, aber es war ihre Tochter Brianna, die sie ihm abnahm und unschlüssig darin herumblätterte.
    »Lies den Anfang«, bat Roger. »Wo es ›Offiziere‹ heißt.«
    »Gut. ›Offiziere‹«, begann sie. »Simon, Herr von Lovat…«

    »Der junge Fuchs«, ergänzte Roger. »Lovats Sohn. Und dann noch fünf Namen, nicht wahr?«
    Brianna zog spöttisch die Braue hoch, las dann aber doch weiter.
    »William Chisholm Fraser, Leutnant; George D’Amerd Fraser Shaw, Hauptmann; Duncan Joseph Fraser, Leutnant; Bayard Murray Fraser, Major.« Vor dem letzten Namen machte sie eine Pause und schluckte. »Und James Alexander Malcolm MacKenzie Fraser, Hauptmann.« Sie war blaß geworden, als sie die Bögen sinken ließ. »Mein Vater.«
    Claire eilte rasch zu ihrer Tochter und strich ihr über den Arm. Auch sie war bleich.
    »Ja«, sagte sie zu Roger, »ich weiß, daß er in die Schlacht ging, als er mich verließ… am Steinkreis… er wollte zurück aufs Feld von Culloden, um seine Männer zu retten, die dort im Heer von Charles Stuart warteten. Und wir wissen, daß es ihm gelungen ist.« Sie wies mit dem Kopf auf den Ordner. »Sie haben sie ja gefunden. Aber… aber… Jamie…« Bei seinem Namen schien sie der Schmerz zu überwältigen, und sie preßte die Lippen zusammen.
    Jetzt war es an Brianna, ihrer Mutter Trost zu spenden.
    »Er wollte zurückkehren, hast du gesagt.« Ermutigend richtete sie die tiefblauen Augen auf Claire. »Er wollte seine Männer vor
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