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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Titus Müller
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1. Kapitel
     
     
    Es gelang den Herrschern des fränkischen Großreichs nicht, das wilde Land im Osten zu unterwerfen. Sie errichteten Kastelle am Elbufer, und bald erhoben sich Burgen der slawischen Fürsten aus den gegenüberliegenden Wäldern. Sie sandten Missionare aus. Nicht einer kehrte zurück. Raubzüge wurden mit Plünderungen beantwortet.
    Zwar hatte man den Obodritenkönig Dobemysl und seine fünfzig Burgen durch Landgeschenke gewonnen, auch das ihm zu Kriegstreue verpflichtete Linonenvolk. Aber was war mit den hundertfünfundzwanzig Burgbezirken der Milzener im Süden, der Redarier und Tollensanen östlich der Peene, der Zirzipanen und Kessiner westlich davon? Was war mit den grimmigen Polaben? Eine geheimnisvolle Kraft hielt diese Völker zusammen, regierte sie mit so großer Macht, daß die Kleinkönige der Stämme dagegen wie Schatten erschienen.
    Rethra.
    Wälder und Sümpfe schlangen sich ineinander im Land der Slawen, Seen funkelten, Moore hauchten schwarzen Atem. Irgendwo, an einem geheimen Ort, lauerte Rethra als Spinne im Netz. Das Orakel zog an Fäden, begann Kriege und beendete sie, bestimmte das Schicksal der Völker. Es hieß, das Pferd eines Gottes bewohne die Tempelburg, und wie auch immer die Frage lautete, es wisse ihre Antwort. Blutige Opferrituale seien der Preis, es milde zu stimmen.
    Der Kaiser suchte, Zwietracht unter den slawischen Stämmen zu schüren. Es gelang ihm, den Weletenbund zu zerschlagen, indem er dessen Bundeskönig Cealadrag durch einen gezielten Angriff der Obodriten töten ließ.
    Rethra hörte davon.
    Der Kaiser förderte die Grenzkriege der reichstreuen Thüringer, hieß sie, wieder und wieder ins slawische Land einzufallen, Felder zu verwüsten, Ortschaften niederzubrennen.
    Rethra hörte davon.
    Dann, im Jahr 873 nach der Geburt Jesu Christi, verweigerten die Sorben den Tribut an Kaiser Ludwig, und er antwortete mit Krieg. Die Heere des Erzkanzlers Liutbert und des Markgrafen Ratolf vereinigten sich und überquerten im Januar 874 die Elbe. Sie plünderten Häuser, äscherten Dörfer ein, mordeten die aufständischen Sorben.
    Rethra hörte davon. Und Rethra entschied, daß es an der Zeit war, die Stämme für einen Orakelspruch zusammenzurufen.
    Während sich Männer und Frauen aus dem ganzen Slawenland auf den Weg zur geheimen Tempelburg machten, kam ein Mönch aus Corbeia Nova im fränkischen Großreich herangereist, ein Mann mit marderhaftem, vernarbtem Gesicht, Tietgaud genannt. Fest entschlossen, den Orakelkult Rethras zu beenden, verschaffte er sich zwei Dutzend mit Panzerhemden gerüstete Männer und überquerte den Grenzfluß in der Nähe Bardowicks. Er schwor, nicht umzukehren, bevor die düstere Stätte des Götzendienstes vernichtet war.
    So flocht der Allmächtige, der aus unseren Schicksalen den farbenreichen Teppich der Geschichte webt, Tietgauds Faden in das Gewirk, gemeinsam mit dem spröden Zwirn eines Mannes, der seit zwanzig Jahren tot war, und doch lebte, und sich weigerte zu sterben. Einen dritten Faden färbte Gott rot und legte ihn hinzu, rot für Alena, die Tochter des Hochpriesters von Rethra. Sie sollte die Mächtigen im Zeitgewebe das Fürchten lehren.
     
    Die Finger der Flötenspieler hüpften auf den Löchern. Ihre Füße klopften den Boden. Es erhob sich eine schrille, fröhliche Melodie in den Himmel, und obwohl sie neu war, sangenDutzende aus vollem Hals mit. Dunkel quäkte eine Birkentute. Trommeln flogen durch die Luft, im Flug geschlagen. Es hätte heller Tag sein mögen: Mit Kraft leuchtete das Feuer in die Gesichter, zeichnete Glut auf die Wangen.
    Alena lächelte den jungen Kessiner an, der sie im Tanz am Unterarm umgriffen hielt und mit sich wirbelte. Die Schritte lief sie von allein, sie verschwendete keine Aufmerksamkeit darauf; lang, lang, kurz, kurz, lang. Die Musik befahl, und Alenas Füße gehorchten willig.
    Er hatte keine Ahnung, wer sie war. Auch die anderen Kessiner nicht. Auf eine vergnügte Art machte es sie unsicher. Der hübsche Schwarzschopf tanzte mit ihr, weil sie ihm gefiel, und nicht, weil sie die Tochter ihres Vaters war.
    Zwei Dudelsäcke brummten, von Männern unter die Achsel gepreßt. Mit aufgeblähten Wangen bliesen die Männer in die Sackpfeifen, folgten der Flötenmelodie, trieben sie an mit dem grellen Quieken der Pfeifen.
    Inmitten einer Drehung warf Alena einen kurzen Blick auf den Fürsten, der außerhalb der Tanzenden stand. Große Nase, seitlich davon breite, unschöne Falten. Wilde
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