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Hexengold

Hexengold

Titel: Hexengold
Autoren: Heidi Rehn
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    I m zweiten Jahr nach Ende des Großen Krieges meinten es die göttlichen Heerscharen gut mit den Frankfurtern. Seit Tagen strahlte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, und es herrschten spätsommerlich milde Temperaturen. Die Ernte auf den Feldern war nahezu eingebracht, in den Weinbergen mainaufwärts versprachen die reifenden Trauben einen hervorragenden Tropfen. Die Herbstmesse präsentierte sich von ihrer besten Seite. In den frühen Morgenstunden schon drängten sich die Schaulustigen in der Stadt. Während des Gottesdienstes lag die Kanzel von Sankt Bartholomäus in goldenem Sonnenschein. Ein Kaufmann aus Holstein deutete das als Fingerzeig Gottes, die Messe und ihre Besucher auch in der nachfolgenden Woche weiterhin mit spätsommerlichem Wetter zu verwöhnen. In Vorfreude auf gute Geschäfte lauschten Kaufleute und Händler der Predigt.
    Draußen fasste Magdalena nach der von Sommersprossen übersäten Hand Erics und lächelte ihn an. Wohlige Wärme durchflutete sie, als sie den Blick seiner blauen Augen auf ihren Wangen spürte. »Welch ein Trubel!«, rief sie und schaute von ihrem Platz vor dem Kirchenportal auf die Menschenmenge. »Wie schön, dass du mich hierher mitgenommen hast.« Ein Schatten huschte über Erics Gesicht. Sie schmunzelte. »Keine Sorge, ich werde dich in den nächsten Tagen nicht auf Schritt und Tritt begleiten. Deine Gespräche mit den anderen Kaufleuten interessieren mich weniger. Viel mehr brenne ich darauf, die unzähligen Stände ausgiebig anzuschauen und die Stadt kennenzulernen. Du wirst sehen: Am Ende vergesse ich darüber sogar die Sehnsucht nach unserer kleinen Carlotta. Doch bei der guten Berta weiß ich sie ohnehin in besten Händen.«
    Ihre smaragdgrünen Augen sprühten vor Übermut. Sie schüttelte den roten Lockenschopf und reckte das spitze Kinn. Neben dem groß gewachsenen Eric wirkte sie so ein klein wenig stattlicher. Ihre Worte entsprachen allerdings nur der halben Wahrheit. Insgeheim hoffte sie darauf, endlich die Menschen kennenzulernen, mit denen er seit Jahr und Tag regen Handel trieb. Eric durchschaute sie. Ein spöttisches Zucken umspielte seine Mundwinkel. »Das sieht dir ähnlich, Liebes. Seit Jahr und Tag tust du nichts anderes, als dich mit niedlichem Putz zu beschäftigen«, spottete er. Doch dann wurde er ernst: »Sei ehrlich, weder die bunten Seidenbänder noch die prächtigen Samtstoffe oder all der andere Zierat fesseln dich an der Frankfurter Messe. In Wahrheit bist du darauf aus, mit mir an die Börse zu gehen und dir die Leute anzuschauen, mit denen ich verkehre.«
    »Was ist falsch daran?«, entgegnete sie verwundert. Abermals meinte sie, in seinem sonnengebräunten Antlitz leichten Unmut zu lesen. Auch wenn im nächsten Moment das vertraute Lächeln zurückkehrte, blieb sie beunruhigt.
    »Wie kann ich nur dein ewiges Misstrauen besiegen?«, fragte er leise und beugte sich vor, um sie zu küssen. Sie aber wich zurück. Dass Eric nicht begriff, worauf es ihr ankam, verletzte sie. Wie so oft in den letzten Monaten erschien er ihr mit einem Mal fremd. Niemand ist der, den man seit langem zu kennen meint, schoss es ihr durch den Kopf. Ohne Vorwarnung wurde sie laut: »Sag mir die Wahrheit! Verrat mir endlich, was in den zweimal zwei Jahren geschehen ist, die du gegen Ende des Großen Krieges aus meinem Leben verschwunden bist.«
    Der offene Vorwurf traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Sie bereute es sogleich und wollte es wiedergutmachen, doch dazu war es zu spät. »Warum fängst du immer wieder damit an?« Verärgert entriss er ihr die Hand. »Es gibt keine Geheimnisse aus dieser Zeit! Du weißt über alles Bescheid. In den ersten Jahren haben mich die Franzosen festgehalten, und während der zweiten Trennung habe ich versucht, dich wiederzufinden. Als Kaufmannssohn habe ich das viele Herumreisen natürlich auch genutzt, um den Grundstein für unsere gemeinsame Zukunft zu legen. Dabei habe ich wichtige Kontakte geknüpft. Davon zehren wir gerade jetzt, vergiss das nie!« Atemlos hielt er inne und rang nach Luft. Unterdessen kam ihm ein Gedanke. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, abwehrend verschränkte er die Arme vor der Brust. »Jetzt verstehe ich. Du bist mit mir nach Frankfurt gereist, um auf der Herbstmesse herumzuhorchen, ob ich tatsächlich die Wahrheit sage. Wenn du mir nicht traust, sollten wir besser gleich wieder abreisen.« Abrupt drehte er sich um.
    »Eric, bleib!« Sie hielt ihn am Arm zurück. »Verzeih mir, bitte.« Ihre Stimme
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