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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Titus Müller
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zur Masse jener Menschen gehörte, die sich von seinen Augen regieren ließen wie fügsame Puppen von der Hand eines Gottes.
    »Alena.«
    Erschrocken sah sie auf. Der scharfe Klang in Vaters Stimme war ungewohnt.
    »Ich habe dich nicht gerufen, damit du sitzt und träumst.«
    »Und weshalb dann?«
    Statt einer Antwort durchbohrte der Vater sie mit den Augen. Schwieg.
    »Weil ich bei den Kessinern war. Sie haben gefeiert, und ich habe mit den Leuten getanzt. Du bist zornig auf mich deswegen, richtig?«
    »Versuchst du, an Želechel heranzukommen?«
    Beim Namen des Fürsten zuckte sie zusammen.
    »Zwei Priester Rethras haben einen Sohn, Alena.«
    »Jarich und Miesko, ich weiß.« Sie runzelte verdrossen die Stirn.
    »Du kannst zwischen ihren Söhnen wählen.«
    »Großartig!« Sie warf die Hände in die Luft. »Jarichs Sohn hat das Pferdegebiß seines Vaters geerbt. Weder spricht er viel, noch können seine schlacksigen Arme und die dürre Brust auf irgendeine Art beeindrucken. Und Cozilo … Ich habe ihn gestern beobachtet, wie er am Seeufer kniete, die Arme entblößt, um das Muskelspiel im Spiegel der Wasseroberfläche zu betrachten. Danach ist er in den Wald gegangen und hat einen halben Tag lang Pfeifen geübt; krächzende Pfeifversuche. Cozilo ist genauso wie Jarichs Sohn ein Junge, der verkrampft versucht, ein Mann zu sein, nichts weiter. Was soll ich mit denen? Ich bin zwanzig Jahre alt, Vater!«
    »Wenn ich einmal nicht mehr lebe, wird einer von ihnen Hochpriester Rethras sein.«
    »Entschuldige, daß aus mir ein Mädchen geworden ist«, fauchte sie.
    Vater schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht. Ich versuche, deine Zukunft aufzubauen.«
    »Du willst einen Enkelsohn, das ist alles. Aber es ist kein Jüngling hier in Rethra, dem ich mich hingeben wollte, verstehst du? Morgen ist die Orakelzeremonie, die Vorburg wimmelt von Menschen. Warum erlaubst du es mir nicht, daß ich mich unter ihnen umsehe?«
    »Du bist die Nawyša Devka! Bei deiner Heirat geht es um mehr als nur um deinen Geschmack.«
    »Ich werde schon jemanden auswählen, der Rang und Namen hat.«
    »Spare dir die Suche. Du heiratest einen redarischen Priestersohn.«
    »Warum muß es unbedingt –«
    »Du weißt es. Man kennt dich, man schaut auf dich. Du bist kein gewöhnlicher Mensch. Das Volk ist sich mehr darüber im klaren als du selbst, wie es scheint.«
    »Willst du mich zwingen?« Sie sprang auf, wurde am Arm gepackt und festgehalten.
    »Du fügst dich, hast du mich verstanden? Ich dulde keinen Ungehorsam – nicht von einem beliebigen Pferdeknecht, und nicht von meiner Tochter.« Einige Haare waren über die Priesterbinde in die Stirn gefallen; sie zitterten. Deutlich sah Alena graue Strähnen in der Mähne des Vaters. »Indem du ihn heiratest, wirst du einem der Priestersöhne Ansehen im Volk verschaffen. Du wirst dich morgen als Nawyša zeigen.« Er zog böse die Mundwinkel herab. »Und ich weiß auch schon, wie.«
     
    Grauer, kühler Morgen. Sterne noch am Himmel, kaum Licht. Menschen, Tausende, von den äußeren Wällen Rethras umarmt, ein Menschenheer in einer riesigen Schüssel. Männer mit Schnauzbärten und rasiertem Kinn, Frauen, der Schmuck an den Schläfen stumpf in der Dunkelheit, Kinder mit schmutzigen Mündern. Erwartungsvolle, furchtsame Blicke zum Tempel hinauf, zum Altar. Zu Alena.
    Sie war eingerahmt von Priestern, den einzigen Männern im Volk, die Bart und Haare lang wachsen ließen: Jarich und Gnažek zur Linken des Altars, Miesko und Lodiš zur Rechten. Den Kopf und die Hände der Priester konnte sie deutlich sehen, wenn sie sich zu ihnen drehte; der Rest ihrer Körper verbarg sich in der Dunkelheit unter schwarzen Taillenmänteln, und selbst die Stirn bedeckte eine schwarze Binde. Alena hingegen trug ihr weißes Leinenkleid. Die Tochter des Höchsten, die Nawyša Devka. Vater hatte recht, sie konnte der wartenden Masse nicht als Mensch erscheinen.Vielleicht sah man die Priester überhaupt nicht von dort hinten – Alena mußte zu sehen sein in ihrem hellen Kleid. Eine
Vila
vor dem Tempel Svarožićs.
    Sie erkannte Rostislav in vorderster Reihe. Heute war er nicht der aufmerksame, unbestechliche Wächter auf dem Nordturm. Er hatte den Arm um die Schulter seiner Frau gelegt, als wollte er ihr die Furcht nehmen. Zum erstenmal kam Alena der Gedanke, daß er ein einfacher Mann war wie andere auch, und daß er älter geworden war, seit sie ihm in ihren Kindheitstagen Streiche gespielt hatte. An Kraft hatte er sicher
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